Der Garten der Dissidenten: Roman (German Edition)
Stoßgebet an Lincoln, er möge die Verbindung zwischen den Reifen des Packard und dem Asphalt wiederherstellen.
»Wenn du deinen Traktor später genauso behandelst, wie du uns hier auf der Straße hältst, Farmer Zimmer, dann wirst du deine – wie nennt man die? Ackerfurchen? –, dann wirst du deine Ackerfurchen nur farschitn , und deine Strauchbohnen werden alle wie Blitzschläge aussehen, ist dir das klar?«
»Bitte, Rose.«
Die Jersey Homesteads waren unmöglich, es konnte sie nicht geben, und doch gab es sie. Sie waren unter der Führung eines durchgeknallten Utopisten namens Benjamin Brown entstanden – »ein in Russland geborener Kleiner Stalin«, hatten die Zeitungen ihn genannt, obwohl er faktisch gar nicht unter dem Kommando einer bekannten Zelle stand, sondern einfach ein Mann aus dem Schtetl mit einer Vision war, die darin bestand, Juden aus ihren Wohnblöcken heraus und aufs Ackerland zurückzubringen. Allen Wahrscheinlichkeiten zum Trotz – wenn man außer acht ließ, dass dies der Tiefpunkt der Weltwirtschaftskrise war, als das Unmögliche regelmäßig auf der Tagesordnung stand – war dieser Brown nach Washington gegangen,hatte sich im Innenministerium mit Harold Ickes höchstpersönlich getroffen, war mit einem Hunderttausenddollarscheck aus Roosevelts Unterstützungsprogramm in der Hand wieder herausgekommen und hatte angefangen, jedem begriffsstutzigen Farmer in New Jersey, der die Hand aufhielt, sein Brachland abzukaufen, und als er fünfhundert Hektar von diesem Nichts zusammen hatte, hatte er angefangen, die Juden zu organisieren. Wahrscheinlich genauso dubios wie Hitlers Madagaskarplan, aber Brown schaffte es. Hier, hatte er angekündigt, würde es eine Fabrik im Kollektivbesitz geben, einen Bekleidungshersteller, der Hunderten von Schneidern Arbeit geben würde, außerdem einen Gemeinschaftsladen und eine kollektiv bewirtschaftete Farm. Dieser Moses der Schneiderzunft scheuchte die jämmerlichen Juden aus der Lower East Side und der Bronx auf – jedenfalls die, die am besagten Tiefpunkt ihre fünfhundert Dollar für eine Parzelle der Homesteads aufbringen konnten. Voilà. Die Zukunft. Rose hatte Geschichten von Hausfrauen gehört, die kurz von der Maloche verschnauften und ihre Kusinen besuchten: fünf Monate Staub, drei Monate Schnee, vier Monate Schlamm. In den kleinen Betonschachtelhäusern, die Browns Utopie tüpfelten, mussten die Hausfrauen, wenn sie nicht gerade in der Fabrik oder auf den Feldern schufteten, ununterbrochen schaufeln, scheuern, wischen und polieren. Das hieß, wenn man etwas mitgeschleppt hatte, das man noch polieren konnte, und nicht alles an der Delancey Street vom Karren herab verkauft hatte, um die fünfhundert Dollar berappen zu können, die die glorreiche Zukunft kostete.
Und jetzt wollte dieser Spross von Lübecks Bank und Opernhaus, ihr idealistischer Gatte, Rose zu diesen schlammverkrusteten Hinterwäldlern verschleppen, weil er irgendwelchen Schwarzwaldphantasien einer pastoral-bäuerlichen Idyllik nachhing. Eine Szene, wie sie Lübecker Juden allenfalls als blaue Malerei auf einem Teller Meißner Porzellans untergekommen sein dürfte.
»Juden kommen in Bussen her«, sagte Rose. »Nicht in geliehenen Automobilen. Wer ein Auto hat und Sommerfrische sucht, fährt nachRockaway oder bis nach Montauk, wenn man ehrgeizig ist. Und dann fährt man wieder nach Hause, wo man hingehört.« Nur ein Stadtjude konnte sich eine Farm wünschen, hätte sie kreischen können. Wer die Provinz im Blut hatte, kannte das Ausmaß der Ignoranz, die geisttötende Beschränktheit des Lebens auf dem Lande. Nur wer die Provinz noch im Blut hatte, konnte verstehen, dass die Zukunft, zumindest für Buchmenschen, in den Städten lag.
»Das könnte für uns genau das Richtige sein, Rose. Du weißt doch, dass wir zu dritt nicht in meine Wohnung passen.«
Seit der Fehlgeburt brachte der stolze Albert bei jeder Gelegenheit ihr unsichtbares Baby zur Sprache. Denn genau wie die Revolution bewies seine Weigerung zu erscheinen nur, dass es unausbleiblich war. Und genau wie die unausbleibliche Revolution war es ein Lösungsmittel, das alle Vorbehalte zersetzte, alle Negativität und jedes falsche Bewusstsein. Der Tag würde kommen, und dann mussten sie bereit sein. Deshalb musste man jetzt anscheinend in die Jersey Homesteads fahren, sofern sich die ganze Sache nicht dadurch erledigte, dass die beiden und das imaginäre Dritte vom Packard umgebracht wurden.
»Guck auf die Straße.
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