Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
es so weit kommen würde?»
Es tut so gut, seine tiefe, klare Stimme zu hören, Tränen treten ihr in die Augen.
«Kawsar-
yaaro
, kleine Kawsar, du hast dich ohne mich so sehr abrackern müssen. Schließ jetzt mit allem ab.» Er lächelt, und da sind sie, die flachen Grübchen in seinen Wangen. «Wir haben auf dich gewartet.»
Neckend tritt Hodan aus der Küche, lächelt das Lächeln ihres Vaters und trägt ein Hochzeitskleid aus Satin, das sich um sie herum auf dem Boden ausbreitet.
«Nehmt mich mit.» Kawsar streckt die Arme so weit nach oben wie möglich.
Als Hodan näher tritt, sieht Kawsar, wie ihr perfektes, leuchtendes Gesicht verblasst, bis nur noch Staubflocken durch die Luft tanzen. Sie dreht sich zu Farah um, aber das Bett ist leer. Sie lässt die Arme sinkenund schreit auf, verflucht sich selbst: Warum kann sie nach einem derart langen, schwierigen Leben nicht wenigstens einen einfachen Tod haben? Warum muss sie diese Prüfung über sich ergehen lassen? Wenn sie ein Messer hätte, würde sie ihrem Leben ein Ende bereiten.
Deqo schleicht sich zu den Villen zurück. Die Bäume sind kahl, alle Vögel fortgeflogen, es herrscht eine unheilvolle Stille. Sie möchte noch mal die prächtigen Küchen sehen, die glänzenden Kupfertöpfe berühren und die unter geheimnisvoll-exotischen Verpackungen ächzenden Schränke ausräumen. Hinter ihr ertönt das kehlige Dröhnen der Granatwerfer, und sie läuft schneller, hält sich dicht an der Wand und versteckt sich im Schatten herabwuchernder rosa Bougainvilleen. Sie schlüpft auf das Grundstück der größeren Villa, rennt die Betonstufen hoch und betritt den kühlen, grün gefliesten Empfangsraum. Ein schwerer Sessel mit Holzgestell steht nahe genug an der Tür, sodass sie ihn schieben und als Barrikade benutzen kann. Der Deckenventilator gerät durch den Luftzug in Bewegung, aber im restlichen Haus ist es geisterhaft still. Die Möbel sind mit riesigen Tüchern bedeckt, in den Falten auf dem Boden sammeln sich bereits Staub und tote Insekten.
Deqo durchquert die Eingangshalle und geht in die Küche. Eine Wand wird von weiß gestrichenen Schränken beherrscht, in denen sich Pfannen, Besteck und Vorräte verbergen, die in Nasras Küche auf dem Boden gestanden hätten. Auf einer Strohmatte neben dem Fenster ist ganz deutlich der dunkle Abdruck eines Körpers zu sehen, nur ein Paar Plastikschlappen und ein
caday
erinnern an das Dienstmädchen, das in diesem Raum gelebt und gearbeitet hat. Statt eines improvisierten
girgire
hatte sie einen richtigen Holzkohleherd, auf dem sie die Mahlzeiten zubereiten konnte, mit vier runden Platten und einem Ofen darunter – er muss ihr viele Arbeitsstunden erspart haben. In einem riesigen Emailspülbecken stapelt sich das dreckige Geschirr, das die Familie vor ihrer Flucht benutzt hat. Deqo taucht einen Finger in die erstarrte rote Sauce auf einem Teller und leckt ihn ab, es schmeckt immer noch gut. Aus zwei großen Wasserhähnen tropft es auf das Geschirr, und sie beschließt, abzuspülen, als eine Art Bezahlung für die Gastfreundschaftder Familie, die ihr unwissentlich gewährt wird. Mühsam dreht sie die schwergängigen Hähne auf, und das Wasser rauscht heraus, klar und reichlich; in ihrer Reichweite finden sich Lappen und Reinigungsmittel, und binnen Kurzem ist das Spülbecken leer.
Deqo wedelt ihre Hände trocken, ganz erstaunt, welcher Luxus ihr bisher verborgen geblieben ist. An einem Ort wie diesem ist Arbeit keine Arbeit; man muss keine Eimer vom Brunnen herschleppen, keinen zusammenstürzenden Pfannenstapeln oder herabfallenden Messern ausweichen. Die Küche hat eine hohe Decke und zwei breite Fenster, durch die die Mittagssonne hereinströmt; die zartgelbe Farbe der Wände taucht alles in ein weiches Licht. An der Wand hängen drei riesige Kupferpfannen, die sich im Luftzug leicht bewegen und deren Böden goldene Strahlen auf Deqos Haut werfen. Ihr Atem geht schwer, jetzt weiß sie, wo sie hingehört.
Sie öffnete den nächstgelegenen Schrank und greift sich einen Stapel Kekspackungen, importierte Ware, die sie auf dem Markt zwar gesehen, aber noch nie probiert hat, klemmt sich noch eine Flasche Sirup unter dem Arm und sucht ein Schlafzimmer. Sie wählt das größte und wirft ihre Beute auf die rosa Seidensteppdecke, die über das riesige Bett gebreitet ist; es ist, als lehnte man sich auf einer Wolke zurück, flöge auf einem Zauberteppich dahin. Sie streckt alle viere von sich, zieht sie wieder an, streckt sie
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