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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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oben wirft, fällt ihr auf, wie merkwürdig die Blitze sind, sie scheinen aus dem Boden zu schlagen, statt auf ihn hinab, und der Donner klingt kehlig und metallisch zugleich. Mit ohrenbetäubendem Getöse stößt ein Flugzeug herab, und verängstigt stolpert sie ins Gebüsch. Als sie sich der über den Graben führenden Betonbrücke nähert, vibriert der Boden unter einer langsamen Prozession dunkelgrüner Panzer, die die Brücke von Nord nach Süd überqueren; vielleicht findet im Stadion eine weitere Parade statt, noch ein Tag voller Soldaten, Reden und Tänze. Nachdem die Panzer verschwunden sind, ist die Brücke leer, und sie klettert die Böschung hoch. Auf der Brücke wirft sie einen prüfenden Blick Richtung Süden zum Flughafen und Richtung Norden zum Theater: Hier und da stehen Rauchsäulen, und bis auf die geheimnisvollen Explosionen, die sie vom Graben aus hören konnte, liegt über allem eine unheimliche Stille.
    Neugierig geht Deqo Richtung Souk, hoffentlich weiß eine der Marktfrauen, was los ist. Sie nimmt an, dass der Markt wie immer geöffnet hat, links die Frauen mit den Körben, rechts die Gemüseverkäufer, dazwischen Straßenhändler, ungefähr in ihrem Alter, die Snacks und einzelne Zigaretten verkaufen, der Hauptmarkt ein Trubel aus Köpfen und Armen. Erst als sie sich der riesigen blau-weißen Flagge nähert, die auf eine der Mauern der Stadtverwaltung gemalt ist – das gleiche Bild, von dem sie im Getümmel immer nur Bruchstücke gesehen hat, ist nun in seiner ganzen regenverwaschenen Gänze sichtbar –, bemerkt Deqo, dass sie sich im Herzen des Souk befindet. Stille, umgestürzte Tische und Kisten haben die ihr bekannte Welt ersetzt, ihre einzige Gesellschaft sind die ausgemergelten, flohgeplagten Katzen, die unter einer Markise kauern und verzweifelt eine dunkle Blutpfütze auflecken.
    Deqo sucht den Boden nach etwas Essbarem ab, aber es liegen nur Erdnussschalen und zertrampeltes Gemüse herum. Sie schwenkt in das Gässchen neben dem städtischen Gebäude und erreicht bald darauf den Checkpoint. Soldaten in gelben Tarnanzügen stehen Wache, aber eineFrau in Kakiuniform und Barett winkt Deqo heran. «Hände hoch! Wo kommst du her?», schreit sie.
    «Vom Markt.» Deqo zeigt hinter sich. «Wo sind denn die ganzen Händler,
jaalle?"
    «Irgendwo in den Bergen. Wer bist du? Wo ist deine Familie?»
    «Ich bin Waise, aus Saba’ad.»
    «Du kannst die Hände runternehmen.»
    Langsam lässt Deqo die Arme sinken.
    «Ich habe Hunger,
jaalle
, wo krieg ich was zu essen her?»
    Die Frau geht zu einem anderen Soldaten, bespricht sich mit ihm und kehrt mit ihm zurück. «Wenn du eine Aufgabe für uns übernimmst, bekommst du von uns etwas zu essen.»
    Deqo schirmt mit der Hand ihre Augen vor der Sonne ab und nickt.
    «Komm mit.» Die Frau führt Deqo und den Soldaten in Richtung des wohlhabenden Viertels auf der anderen Seite des Grabens. In gebückter Haltung, das Gewehr im Anschlag, spähen sie um die Ecke, ehe sie sich weiterwagen. Das Funkgerät am Gürtel der Frau knackt, und sie schaltet es aus.
    «Siehst du die Häuser dort am Ende der Straße?» Sie zeigt auf zwei riesige Villen, deren Tore aufgebrochen sind. «Ich will, dass du da reingehst und nachschaust, ob Leute da drin sind.»
    «Ist das alles?», fragt Deqo.
    «Das ist alles, und dann bekommst du von uns etwas zu essen.»
    Als Deqo auf Zehenspitzen losgeht, wobei sie die Soldaten nachahmt, sieht sie, dass die Grundstücksmauern der Villen Einschlagslöcher haben, Krater groß wie Lastwagenreifen. Die Häuser selbst, vor denen glänzende neue Autos stehen, sind unbeschädigt. Deqo wirft einen ängstlichen Blick über die Schulter auf die Soldaten, die rasch aus ihrem Blickfeld verschwinden. Sie betritt das Grundstück der etwas kleineren Villa und steht neben einem verlassenen Kinderfahrrad, in der Erwartung, dass sie gleich verjagt wird; Vögel rascheln, in der Ferne ertönen Schüsse, aber niemand kommt heraus. Die Villa ist weiß und hat eine geflieste Veranda, die zu einer Doppeltür aus Glas führt. Deqo betritt das Haus und zählt sieben Zimmer, das Bad und die große Küche nichtmitgerechnet. Im Schlafzimmer brennt noch das Deckenlicht, aber sie weiß nicht, wie man es ausschaltet. Die Zimmer riechen nach der Familie, die hier gewohnt hat, eine eigenartige Mischung aus Waschpulver, Gewürzen und Baby.
    Die größere Villa wirkt ebenfalls verlassen, auf einem Teppich sind allerdings Fußabdrücke zu sehen. Deqo hebt eine Gewehrkugel

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