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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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auf, die unter dem Wohnzimmertisch liegt, und behält sie gewissermaßen als Glücksbringer in der Hand, während sie die Zimmer inspiziert. In diesem Haus gibt es zwei Fernseher, einen im Wohnzimmer, den anderen im Schlafzimmer; Deqos Spiegelbild wird darin eingefangen und von den Apparaten mit ihren schwarzen Augen beobachtet. Die Küche ist voller abgepackter Lebensmittel, die sie nicht identifizieren kann.
    Deqo sprintet zu den Soldaten zurück, die sie um die Ecke winken.
    «Hast du jemanden gesehen?», fragt die Frau ungeduldig.
    «Nein, die Häuser sind leer.»
    «Hast du auch ganz sicher niemanden gesehen? Sag die Wahrheit.»
    «Ich hab in jedes Zimmer geguckt.»
    «Was hast du da in der Hand?»
    Deqo macht die Hand auf und zeigt ihr die Kugel. Die Soldatin nimmt die Kugel und flüstert ihrem Kameraden etwas ins Ohr.
    «Hab ich in dem großen Haus gefunden. Unter ’nem Tisch.»
    Die Soldatin ersetzt die Kugel mit einem geschmolzenen Schokoriegel aus ihrer Tasche. «Schleich dich», befiehlt sie ihr, bevor sie und der Soldat in die Richtung gehen, aus der sie gekommen sind, aufmerksam nach allen Seiten spähend wie Diebe.
    Roble sagte, er sei sofort hergerannt, als er die Schreie gehört hätte. Filsan war von einer buntgemischten Gruppe umringt; zwei ältere Männer – einer in Kaki, einer mit Safarijacke – und zwei Halbwüchsige, die Jeans und Hemden mit breitem Kragen trugen.
    «Gib uns deine Waffe», verlangte der Mann in Kaki, sein Gewehr auf sie gerichtet.
    Filsan stand vollkommen still, unfähig, eine Antwort von sich zu geben. Es war, als wäre alles, was sie je gelernt hatte, ausradiert.
    Einer der Burschen entsicherte seine Kalaschnikow, und das Geräusch katapultierte Filsan wieder in ihren Körper zurück. Sie sah in den Lauf, erblickte ihr eigenes Ende und brüllte nach Roble.
    Ehe der Bewaffnete seine Kalaschnikow abfeuern konnte, erledigte ihn vom Checkpoint her ein Schuss in den Rücken.
    Die Rebellen drehten sich um und schossen zurück, Filsan war plötzlich nicht mehr wichtig, und sie warf sich in die Wasserrinne, in der die Männer sich versteckt hatten. Nach wenigen Sekunden war das Feuergefecht vorüber, drei Rebellen lagen tot auf dem Boden und dem ins Dunkel der Nacht rennenden Mann in Kaki waren Soldaten auf den Fersen.
    Roble rannte zu ihr hinüber und zog sie aus dem Dornengestrüpp, sein Herz donnerte gegen ihre Rippen, und der Moment war einzig wegen des Geruchs nach Hundescheiße an Filsans Stiefeln verhunzt. Unter seinen Arm geschmiegt und erschrocken, aber unversehrt, war sie mit Roble zum Checkpoint zurückmarschiert und alle Feindseligkeit zwischen ihnen war verschwunden. Seine Gestalt wurde fast ganz vom Schatten verschluckt, nur der Umriss eines Mannes, wie er sein sollte, und sie klammerte sich an ihn, drückte sich immer enger an ihn. Auf eine beschwingte, animalische Art fühlte sie sich außer sich, bar jeglicher Zurückhaltung, jeglichen Anstands; sie wollte mit ihm verschmelzen,
er werden
. Aber Roble hatte sie auf die Tonne beim Checkpoint gesetzt, ihr die Taschenlampe gegeben, sich dem Funkgerät zugewandt und Befehle für sofortige Verstärkung gebrüllt, besorgte Blicke in alle Richtungen geworfen. Noch in dieser Nacht waren sie getrennt worden, er zu einem Checkpoint in den Bergen außerhalb der Stadt abgestellt worden und sie nach Birjeeh, wo sie bei der Koordination der Siegespioniere mit den bewaffneten Truppen helfen sollte, die sich bereits in Hargeisa befanden.
    Jedes Mal, wenn Filsan während der nächsten Tage einen Militärlastwagen durch die Straßen rasen sieht, auf der Ladefläche uniformierte Tote, erstarrt sie beim Gedanken, Roble könnte unter ihnen sein. Das NFM ist keineswegs zurückgeschlagen und aus der Stadt vertrieben worden, sondern zahlenmäßig angewachsen und hat sich verschanzt.Hunderte Rebellen sind aus dem Exil im äthiopischen Buschland zurückgekehrt, aus ihren Wüstenhöhlen, und tragen auf dem Rücken Waffen, die sie irgendwo ergattert haben. Veteranen, deren Namen und Fotografien sich in Akten über polizeilich gesuchte Personen finden, sind gekommen, um Chaos und Verwüstung anzurichten; ihre offenkundige Auferstehung wirkt als ein Ruf zu den Waffen für die Tausenden wütender Jugendlichen der Stadt.
    Beim Checkpoint in der Nähe des Nationaltheaters überwacht Filsan alle Bewegungen in das strategisch wichtige Stadtzentrum. Die meisten Bewohner sind während der ersten Stunden der Bombardierung geflohen, einige jedoch

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