Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
anzusehen.
«Welcher Dienststelle gehören Sie an?»
«Innere Sicherheit, Sir.»
«Sehen Sie mich an, Genossin.»
Filsan hebt den Kopf und begegnet seinem Blick.
«Kommen Sie aus einer Familie mit Militärtradition?»
«Ja, Sir, mein Vater ist Irroleh.»
«Wir wurden zusammen in Ostberlin ausgebildet. Ein großartiger Soldat.»
Es hat funktioniert. Der Name ihres Vaters ist wie ein Schlüssel, der in ein Schloss geschoben wird; sie kann beinahe hören, wie sich die Tür für sie öffnet.
«Wie geht es ihm?»
«Sehr gut, Sir, er arbeitet im Verteidigungsministerium», lügt Filsan. Ihr Vater ist suspendiert und sitzt derzeit zu Hause, während die Untersuchung läuft.
«Dann werde ich, wenn ich das nächste Mal in Mogadischu bin, wohl mal bei ihm vorbeischauen müssen. Und Sie, seit wann sind Sie hier?»
«Erst seit drei Wochen, Sir.»
Er lächelt. «Die Welt ist doch ein Dorf.»
Sie lächelt zurück. Er ist wie einer der Männer, die sie als Kind aufden Schultern trugen, freundliche Riesen mit großen Händen und lautem Lachen.
Er wendet sich einem der Ausländer zu und schiebt dessen Stuhl zurück, spricht immer noch mit ihr. «Warum begleiten Sie uns nicht zum Oriental Hotel, dort können wir weiterreden.»
Filsan grinst und zeigt ihre kleinen, schief übereinanderstehenden Zähne. «Ja, Sir!» Die Leibwache umringt den General, und sie reiht sich in die äußerste Schutzreihe ein.
Er steigt in seinen schwarzen Mercedes und fährt mit der Wagenkolonne davon. Der Sergeant, der sie angesprochen hat, scheucht sie in seinen Jeep. Sollen doch die Guddi aufräumen und sich mit den Streunern und streitsüchtigen alten Frauen auseinandersetzen. Sie hat studiert, damit sie in der Schaltzentrale mitmischen kann. Der Jeep rast zum Oriental Hotel in der Nähe der Brücke, dem vornehmsten und ältesten Hotel der Stadt.
General Haaruun geht voran, berührt leicht den Rücken der Ehefrau eines asiatischen Botschafters, verbeugt sich und lässt ihr den Vortritt ins Hotel.
Filsan springt aus dem Jeep und folgt den Würdenträgern ins Foyer. Sie spürt den Drang, auf die Toilette zu flitzen und dort im Spiegel Haar und Make-up zu kontrollieren, aber die Soldatin in ihr rümpft darüber die Nase. Noch nie hat sie einen Fuß in dieses Gebäude gesetzt, aber sie ist praktisch in den Hotels von Mogadischu aufgewachsen, hat dort die Mahlzeiten eingenommen, während ihr Vater Kaffee trank und den ganzen Tag über Beziehungen knüpfte und pflegte. Nachdem ihre Mutter sie verlassen und bevor sie die Haushälterin Intisaar gefunden hatten, hatten sie kaum noch Zeit in ihrer Villa verbracht und waren nur abends zum Schlafen nach Hause gegangen. Hotels sind ihr wohlvertraut – Aufbau und Abläufe, der Geruch der blauen Seife, die in jedem Hotelbadezimmer zu finden ist –, aber wie sie nun hier steht, umringt von weltgewandten Menschen, und die Spiegel und goldfarbenen Kronleuchter anstarrt, kommt sie sich wie eine trampelige
bedu
vor. Am liebsten möchte sie sich in die langen Vorhänge einwickeln und verstecken, so, wie sie es als Kind tat, wenn zu viele fremde Besucher im Haus waren.
General Haaruun hält ein Glas in der Hand, das Getränk hat die gleiche Farbe wie der Whisky, den ihr Vater mag, und lässt beim Reden die Eiswürfel kreisen. Er sieht Filsan nicht an, aber sie bleibt ganz in seiner Nähe, beschäftigt sich verlegen mit den Einzelheiten des Raums: den roten Fliegen der Kellner, dem Samt, mit dem die Sofas bezogen sind und der auch für die Vorhänge verwendet worden ist, der lackglänzenden Platte der Speisetafel in der Mitte. Sie weiß nicht recht, welche Haltung sie einnehmen soll, welche Rolle für sie vorgesehen ist – Beschützerin, Bittstellerin oder Tochter. Sie strafft den Rücken, sackt leicht zusammen, strafft wieder den Rücken. Mit einer raschen Drehung greift sie ein Glas von einem Tablett, das vorbeigetragen wird, und schüttet das Getränk hinunter. Billiger Weißwein umspült ihre Geschmacksknospen und versetzt ihrem Magen einen Schlag; sie verzieht das Gesicht, stellt das Glas auf das Tablett zurück und nimmt wieder ihre Position ein. Sie wird warten, bis Haaruun Zeit für sie hat.
Er ist in ein fröhliches Gespräch mit dem amerikanischen Attaché vertieft. Aus ihrer Schulzeit fallen ihr englische Sätze ein, und sie muss lächeln. «Könnten Sie mir bitte sagen, wie ich zum Buckingham-Palast komme?» – «Ich warte auf den 10-Uhr-30-Zug nach York.» – «Ich muss dringend einen Arzt
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