Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
rötliches Licht ab.
Nachts ist Hargeisa gespenstisch. Um den Rebellen das Leben schwer zu machen, wird der Strom abgeschaltet, aber die Dunkelheit wirkt unheilvoll, und während sie dahinrasen, huschen Schemen über die schwarzen Scheiben, gelegentlich fällt aus einer Hütte am Straßenrand auch der Schein einer Petroleumlampe. Sie sind die Besatzung eines U-Boots, das die Tiefsee durchquert, vielleicht schaffen sie es bis zum Festland, vielleicht auch nicht, seltsame Geschöpfe treiben auf der anderen Seite des Glases vorbei.
«Nimm die Kopfbedeckung ab.» Die Stimme des Generals klingt jetzt weniger angeheitert.
Filsan zieht die Nadel heraus, die das Barett hält. Sie hat das Haar oben zusammengesteckt.
«Lass es runter. Ich will es offen sehen.»
Auf Befehle reagiert Filsan unverzüglich, das war schon immer so, dafür hat ihr Vater gesorgt. «Was du auch tust, mach es schnell und gut», hat er ihr eingetrichtert.
Bis sie alle Nadeln gefunden und herausgezogen hat, dauert es eine Weile; sie legt sie sich in den Schoß und lockert das Haar, bis es ihr auf die Schultern fällt. Die nachlassende Spannung auf dem Kopf fühlt sich gut an, kreisend bewegt sie die Fingerspitzen über die prickelnde Haut.
General Haaruun rückt näher, der Rücksitz quietscht unter seinem Gewicht. Filsan starrt durch die Windschutzscheibe, sieht die kurz ins Scheinwerferlicht getauchten Straßenhunde und Zivilisten.
Er legt ihr die Hand auf die Wange und streichelt sie, seine Haut ist weicher als erwartet, ein schwacher Cremeduft haftet an seinen Fingern.
Er rückt noch näher.
Im Rückspiegel ist der Blick des Fahrers auf sie gerichtet.
«Ina
Irroleh, Tochter des Irroleh, sieh mich an.»
Der Name ihres Vaters trifft ihre Ohren wie ein Donnerschlag. Sie weiß, dass er sie jetzt beobachtet, er kann sie auf dem Rücksitz dieses Autos sitzen sehen, und seine Schläfenadern pulsieren.
General Haaruun fasst Filsans Kinn und dreht ihr Gesicht zu ihm. «Ich kann dir das Leben sehr leicht machen, was immer du willst, du bekommst es.»
«Das würde mein Vater nicht wollen.»
Seine Hand wandert nach unten, streicht über ihre Schenkel und drückt ihr Knie. «Du glaubst doch wohl nicht, dass es dein Vater bei den Mädchen, die er trifft, nicht genauso macht.» Er lässt seine Hand auf ihrem Schenkel bis zum Schritt hochgleiten. «Du bist doch noch Jungfrau, oder? Ein anständiges Mädchen», flüstert er ihr ins Ohr.
Filsan ist jetzt ganz tief unter Wasser, kann weder atmen noch schlucken, nie wird sie es bis zum Festland schaffen.
«Bitte hören Sie auf, mein Vater …», hört sie sich murmeln.
«Wer interessiert sich schon für den. Ein alter Säufer ist er. Denk lieber daran, was gut für dich ist.» Er hat beide Arme um sie geschlungen, eine Hand tastet nach ihrem Gürtel, nach ihrem Reißverschluss.
Immer noch hat der Fahrer den Blick auf sie gerichtet.
Filsan packt General Haaruuns Hand und schiebt sie heftig weg. «Nein! Nein! Nein!» Bei jedem Wort schlägt sie ihm mit beiden Händen auf die Brust. «Fassen Sie mich nicht an!»
«Anhalten!», brüllt er.
Quietschend halten sie an, und die Jeeps dahinter positionieren sich fächerförmig um den Mercedes. Er greift über sie hinweg, öffnet die Tür und stößt Filsan aus dem Auto. «Abu
kintiro
, blöde Fotze, sieh zu, wie du nach Hause kommst.»
Vor den Augen von ungefähr zwanzig Soldaten landet Filsan auf den Knien, die Scheinwerfer der Jeeps erleuchten das Schauspiel taghell.
Dumpf schlägt hinter ihr die Tür zu, die Räder des Mercedes drehen durch, und der Wagen fährt davon. Nachdem der Konvoi fort ist, umhüllt sie Dunkelheit. Filsan rappelt sich auf, ihr schwirrt der Kopf, und sie geht auf die nächste Lichtquelle zu.
Im Gefängnis, denkt Kawsar, finden Lebensgeschichten ein Ende. Egal, wer man ist, egal, wonach man strebt, egal, auf welchen verschlungenen Wegen es einen hierher verschlagen hat, dieser Ort ist wie das Zentrum eines Spinnennetzes, in dem man schließlich gefangen ist. Noch mehr Frauen und Mädchen sind in die Zelle geworfen worden, mittlerweile sind es ungefähr fünfzig Gefangene. Keine hat bisher den Eimer benutzt, aber der Sohn der Prostituierten hat sich eingekotet, und eine Stunde später stinkt es immer noch. Die Enge zwingt die jüngsten Insassinnen zu stehen, einige von ihnen leben wohl auf der Straße, und sie scheinen das Ganze gelassen hinzunehmen, während andere in ihren Schuluniformen zittern. Trostsuchend scharen sich diese
Weitere Kostenlose Bücher