Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
und nahmen ein Baby mit nach Hause. Sie könnte kochen, putzen, Besorgungen machen, für eine alte Frau wäre sie viel geeigneter als so ein wimmerndes Baby.
Aus dem breiten, dunklen Gefängniseingang kommen ein paar Leute heraus, nicht aber jene Frau, auf die Deqo wartet. Zum Schutz gegen das gleißende Licht halten sie sich die Hand über die Augen, die Kleider sind fleckig und zerknittert, aber Deqo ist sich sicher, dass ihre Retterin nicht beschmutzt werden kann, sie wird bei ihrer Entlassung genauso gut riechen wie bei Haftantritt.
Von der Brücke her, die Deqo gerade erst überquert hat, sind Schwingungen zu spüren. Sie geht ein paar Schritte zurück und sieht einige Frauen, die sich langsam nähern und alle wie ihre Retterin gekleidet sind, eine rot-weiß-braune Woge bricht über die Straße herein; singend lobpreisen sie den Präsidenten und Somalia und schwenken Zweige. Sie marschieren in Zehnerreihen, manche auf der Straße, andere erobern den Gehweg, eine Hausfrauenarmee verdrängt die Stille. Deqo verzieht sich in ein Gässchen, falls Milgo unter ihnen sein sollte.
Ein somalisches Filmteam rennt vorbei. Mit ihren klobigen Kameras, Taschen und Mikrofonen erinnern sie Deqo an die ausländischen Fotografen, die sich während des Choleraausbruchs auf Saba’ad stürzten, den Leuten auf die Finger traten und ihnen die Kameras ins Gesicht hielten, während sie still und schweigend auf dem nackten Boden starben. Bis sie mit ihrer Arbeit loslegten, hatten sie freundlich gewirkt, dann übernahmen sie mit ihren Kabeln, Generatoren und den vielenanderen Geräten die Klinik geradezu. Sie hatten den alten Sulaiman gefilmt, der um seine tote Familie weinte, während seine Frau und die vier Kinder, für das Begräbnis in dünne Tücher gehüllt, dalagen, die Tränen rannen ihm in den Bart, und die Kameras waren nicht einmal einen Schritt von ihm entfernt. Er hatte überlebt, verließ das Lager dann aber ohne ein Bündel auf dem Rücken, seine Habseligkeiten hatte er den Nachbarn überlassen. Manche sagten, er sei in den Ogaden zurückgekehrt, andere meinten, er sei in die Stadt gegangen, jedenfalls wurde er nie wieder gesehen.
Die Marschierenden schwenken ihre Plakate und wedeln mit ihren Zweigen, allmählich versiegt ihr Strom, und zurück bleiben in den Asphalt getretene Blätter und Ästchen. Mit ihnen verschwindet das Leben aus der Straße, und Deqo bleibt mit dem Bild der vor der Klinik zum Begräbnis aufgereihten Leichname zurück, deren Geruch an ihrer Haut haftet wie Öl.
Endlich sind die Feierlichkeiten im Stadion vorbei, und die Würdenträger erheben sich, als die Nationalhymne aus den Lautsprechern dringt. Direkt unter General Haaruun steht Filsan inmitten einer Soldatenphalanx. Nachdem das Problem mit den Guddi gelöst war, hat sie sich zum Podium durchgeschlängelt. In der Nähe sind noch zwei Offizierinnen, aber sie ist dem General am nächsten; sie wirft einen abschätzigen Blick auf die Frauen und hofft, dass er die Bügelfalten in ihrer Uniform wahrnimmt, ihren geraden Rücken, die Präzision ihres militärischen Grußes. Sie hat den ganzen Tag über nichts gegessen, und vor ihren Augen verwandelt sich alles in eine Traumlandschaft: am Rand ihres Sichtfeldes winken ihr gespenstische Gestalten zu, die Tribünen wogen, Hände wie Wellenkämme; wo Sonne auf Metall trifft, lodert Feuer. Die letzten Töne der Hymne verklingen, da tippt ihr jemand auf die Schulter. Sie zuckt zusammen.
«Seine Exzellenz wünscht, dass Sie ihm vorgestellt werden», flüstert ihr ein Sergeant, auf jeder Epaulette ein Stern, ins Ohr.
«Was?» Filsan hat so lange auf diesen Augenblick gewartet, dass sie mehr nicht herausbringt.
«Schnell, er wartet.» Der Sergeant dreht ihr den Rücken zu und schnipst mit den Fingern, dass sie ihm folgen solle.
Sie hastet um die Absperrung und die Stufen hoch. Große Elektroventilatoren lassen die blauen und weißen Seidentücher, mit denen das Podium dekoriert ist, sanft flattern, und es kommt ihr vor, als stünde sie auf einer Wolke, die der Wind über den Himmel treibt.
Verstohlen tupft sie sich den Schweiß vom Haaransatz und salutiert vor General Haaruun.
«Stehen Sie bequem, Soldatin.» Seine Stimme ist sanft und leise, er ist sich seiner Macht so sicher, dass er sie nicht durch Gebrüll kundtun muss. «Ich treffe gern Genossinnen, und es ist mir ein Anliegen, ihre Karriere zu fördern. Wie heißen Sie?»
«Adan Ali, Filsan, Sir.» Sie bringt es nicht fertig, ihn
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