Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
gerichtet, und Filsan hebt ergeben die Hände. Noch liegen ungefähr zehn Meter zwischen ihr und den Soldaten, und in ihren Gedanken spult sich ab, was gleich geschehen wird: Einer von ihnen wird sie erkennen und per Funk durchgeben, dass sie eine Deserteurin geschnappt haben; wenn sie Glück hat, wird sie in ein Gefängnis im Süden gesteckt, wenn nicht, dann wird sie in Birjeeh exekutiert.
Beide Optionen sind untragbar, und Filsan rast in ein dunkles Gässchen und rennt so schnell sie kann, ihr Schmerz wird kurzzeitig vom Adrenalin, das durch ihren Körper pumpt, verdrängt. Die Soldaten setzen ihr nach, schießen aber nicht, wahrscheinlich sind sie zu jung und haben immer noch Angst vor den eigenen Waffen; sie holen auf, und als Filsan sich umdreht, ist einer nur noch fünf Meter von ihr entfernt. Sie taucht in die winzige Lücke zwischen zwei Häusern und überquert ein weiteres Gässchen, rast auf das helle Lichtrechteck an dessen Ende zu und wird in eine ihr vertraute Straße ausgespuckt. Hinter sich hört sie die Stiefel des Soldaten und rennt so lange weiter, wie sie kann, bis sie hinter der Wellblechwand eines
dukaan
zusammenbricht. In einem Spalt im Metall taucht ein Gesicht auf, und ein Flüchtlingsmädchen mit Beutegut in den Armen blinzelt sie an. Filsan wendet ihr den Rücken zu und wünscht das Kind weit fort.
«He,
yaari
! Wo ist die Frau hingerannt?», schreit ein Soldat.
Filsan hält die Luft an.
«Sie ist da rauf», sagt die Kleine.
«Wo? Zeig’s mir.»
Das Mädchen schlurft ein paar Schritte das Gässchen entlang. «Um die Ecke dort, sehen Sie?»
«Folgt mir, Genossen!», brüllt er über die Schulter zurück, und die Armeestiefel stürmen weiter.
Das Auge mit den langen Wimpern taucht wieder im Riss auf. «Sie sind weg.»
Das Mädchen winkt, Filsan solle ihr folgen, und führt sie in einen kleinen blauen Bungalow, wo sie in Sicherheit ist.
Eine alte Frau liegt unter ihrem Bettzeug begraben da, der untere Teil ihres Gesichts ist von einer Decke verhüllt. Der Geruch, der von ihr aufsteigt, lässt Filsan würgen.
«Ist das deine Großmutter?», fragt Filsan leise.
«Ja, ich kümmere mich um sie. Wie heißt du?»
«Filsan.»
«Warum sind die hinter dir her?»
«Weil ich mal eine von ihnen war.»
«Und jetzt?»
«Jetzt bin ich eine von euch.»
Kawsar regt sich, während Filsan im Bad ist. Sie murmelt Unverständliches und stöhnt, ehe sie die Augen aufschlägt. Deqo steht ungeduldig neben ihr, will ihr unbedingt von der Fremden erzählen.
«Was ist denn los?»
Deqo wirft einen Blick über die Schulter. «Während du geschlafen hast, habe ich eine Frau mitgebracht.»
«Was für eine Frau?»
«Sie war mal Soldatin.»
Kawsar stützt sich auf die Ellbogen auf, fährt sich mit einer Hand übers Gesicht. «Hat sie dir ihren Namen genannt?»
«Filsan.»
«Ist sie allein?»
«Ja.»
Schritte sind zu hören, dann ein
diric
, der über die Fliesen schleift, schließlich taucht die junge Frau auf: mager, zerzaust, gedemütigt, aber unverkennbar Filsan.
Deqo blickt von einer Frau zur anderen, während diese einander kalt fixieren.
«Bist du da, um die Sache zu Ende zu bringen?», will Kawsar schließlich wissen.
Filsan hebt die Hände, ob in einer Geste des Widerspruchs oder der Kapitulation lässt sich schwer sagen.
Deqo bemerkt, dass Kawsars Gesicht dunkelrot angelaufen ist und über ihren Augen ein glasiger Film liegt.
«Da, sieh nur, was du mir angetan hast!» Die alte Frau schlägt die Laken zurück und zeigt ihre verfärbten, ausgemergelten Beine, von denen die Haut abblättert.
Filsans senkt den Kopf ein wenig.
«Bist du zufrieden, jetzt da deine Freunde beschlossen haben, uns alle in die Hölle zu schicken?»
Deqo rückt näher an Kawsar heran, und breitet die Arme aus, als wollte sie die alte Frau beschützen. «Was hast du mit ihr gemacht?»
Filsan weint unbeholfen, schluchzt widerwillig, sie presst den Mund zusammen, will das Heulen unterdrücken. Der Gefühlsausbruch scheint ihr Schmerz zu bereiten. «Verzeih mir, verzeih mir, verzeih mir», die Worte schütteln sie.
Kawsar schiebt ihren Unterkiefer vor und betrachtet sie mitleidlos. «Nur Gott kann dir vergeben.» Ihre Stimme ist ruhig, aber eisig. «Warum bist du hier? Sind sie jetzt auch hinter dir her?»
«Ich bin desertiert.»
«Also könnten sie dich hierher verfolgen?»
«Vielleicht.»
«Verschwinde! Wir haben auch ohne dich genug Schwierigkeiten.»
«Lass sie dableiben», fleht Deqo und greift nach
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