Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
Vom Netzwerk:
acht Beine, breit über die Erde verteilt, darüber drohend ein zweigeteilter Kopf. Zwei Beine umarmen sie, drücken ihre Brüste platt und heben sie sanft in die Luft. Sie schwingt mit der Bewegung des Geschöpfs mit, sein Griff ist zärtlich, beinahe väterlich, bis auf eines der Beine, das beständig über ihren Körper gleitet. Es bringt sie in das namenlose Buschland außerhalb der Stadt. Sie wird über dorniges Gesträuch, Akazien voller
armo-
Kletterpflanzen und Termitenhügel in eine Wüste geschleppt, die sie nur aus Gespenstergeschichten kennt
.
    «Gaallo-laaye!»
, brüllt Dahabo triumphierend und schlägt sich auf den Oberschenkel.
    «Wer?»
    «Ich hätte wissen müssen, dass sein Geist nicht in Frieden ruhen wird, ein schweres Leben gefolgt von einem schweren Tod.»
    «Gaallo-laaye?
»
    «Wie kannst du den bloß vergessen? Schließlich hat er dich und deinen Liebsten zusammengebracht! Es ist also verständlich, dass er dich heimsucht, möge Gott ihn in seinem Grab festhalten!» Dahabo holt aus dem Korb zwei Äpfel und schält sie in eine Schüssel auf ihrem Schoß.
    «Ich weiß nicht, von wem du sprichst …»
    «Wie kannst du das bloß vergessen!» Dahabo wedelt mit erhobenem Zeigefinger vor Kawsars Gesicht hin und her. «Als wir noch klein waren, versetzte er ganz Hargeisa in Angst und Schrecken … Er hielt sich für eine Spinne.»
    «Meinst du Mohamed Ismail?»
    «Na’am!
Das war sein richtiger Name, aber alle nannten ihn
Gaallolaaye
, den Weißenschlächter, weil er doch fünf Engländer hier in irgendeiner Spelunke erschossen hat. Sie steckten ihn ins Irrenhaus, schickten ihn dann aber wieder hierher zurück. Eines Tages drehte er erneut durch und ballerte auf alles und jeden.» Dahabo zielt mit dem Finger auf Kawsar.
    «Jetzt fällt es mir wieder ein.»
    «Was für eine Spinne war wohl seiner Meinung nach mit einer Pistole bewaffnet? Über Kranke soll man nicht schlecht reden, aber erinnerstdu dich, wie er auf dem Friedhof in die Enge getrieben wurde und alle kamen, weil sie sehen wollten, wie er sich ein Gefecht mit der Polizei lieferte? Er warf mit Steinen, feuerte seine Waffe ab, rannte von Felsbrocken zu Felsbrocken. Es sah tatsächlich so aus, als wären ihm zusätzliche Arme und Beine gewachsen, und er war ein so attraktiver Mann, langgliedrig und mit offenem Gesicht. Ich finde ja, die Verrückten sind besonders schön,
wallahi

    Dahabo hält ihr die Schüssel mit den Apfelschnitzen hin, und Kawsar nimmt eine Handvoll.
    «Das ist der Dschinn in dir, der dich solche Sachen sagen lässt.»
    «Warum? Da ist doch nichts dabei. Sie gehören doch auch zu Gottes Schöpfung. Sie sind in jeder Hinsicht Menschen, nur sind ihre Augen offen für Dinge, die wir nicht sehen können.»
    Dahabos Anwesenheit zähmt Kawsars Schmerz, aber noch immer hat er sich fest um sie geschlungen wie eine schlafende Schlange. «Mohamed Ismail», wiederholt sie leise.
    «Was für ein Mann! Stell dir bloß mal vor, was er heute mit dieser idiotischen Polizei anstellen würde.»
    «Ich war dort auf dem Friedhof. Ich sah seine Leiche. Sein Haar war weiß vom Sand, er trug ein hellgelbes Hemd und in seiner Brust waren drei rote Flecke. Da, da und da …» Kawsar deutet auf drei imaginäre Löcher in ihrer eigenen Brust. «Seine Augen waren offen, sahen mich an, und ich beugte mich hinunter und schloss sie ihm.»
    «Maskiin
, armer Mann.»
    «Hinterher habe ich mich über mich selbst geärgert. Ich dachte, es bringt Unglück, wenn ich so kurz vor meiner Hochzeit eine Leiche berühre.»
    «Unsinn. Ich bin überrascht, dass ich in all diesen Jahren noch nie eine Leiche berührt habe.»
    «Ich habe zu viele berührt. Vielleicht hätte ich mich gleich von der ersten fernhalten sollen.»
    Dahabo besucht sie jeden Tag, wenn es auf den Straßen am heißesten ist und die Läden zum Essen und für das Mittagsgebet geschlossen haben.Haben Maryam English und Fadumo Zeit, essen sie alle gemeinsam, im Hintergrund läuft das Radio, und sie kauen die in Hargeisa kursierenden Gerüchte durch – die Regierung wird die Schulen schließen oder Chemikalien in die Wassertanks kippen, um die Bevölkerung gefügiger zu machen, oder ist bereits dabei, die Zerstörung aller Städte und Dörfer im Nordwesten zu planen – Kawsar schenkt nur den Berichten des BBC Somali Service aus London Glauben, dort ist man zu weit entfernt, um Propaganda oder Hysterie zu erliegen. 1976, als Farah kurze Zeit Polizeipräsident war, hatte er sie gewarnt und gesagt,

Weitere Kostenlose Bücher