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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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einkaufen gehen. Sie hängt das Schmuckstück über die Klinke des größeren Schrankes, das leise Klimpern erinnert sie täglich an die magischen Finger ihres Großvaters und daran, welcher Zauber in ihnen gewohnt hat.
    Kawsar schließt die Augen und stellt sich die Straße jenseits ihrer Hausmauern vor: die sandigen Gassen in der Farbe gedroschenen Weizens, alles andere blau übergossen – indigofarben die Tore zu den Bungalows, türkis die Grundstücksmauern, dunkelblau die in den Höfen vor sich hin rostenden Wassertonnen –, die Nachbarn haben sich das Meer herbeigemalt, Beistand gegen die Dürre. Die Wasserversorgung der begehrten modernen Steinbungalows, von Lehrern, Beamten undIngenieuren erbaut, hängt nun von Eselskarren ab. Es kommt Kawsar so vor, als hätte sie diese Straße erschaffen, sie im Alleingang dem Paviantrupp entrissen, der im nahen Wacholderwald gelebt und ihren Bungalow einstmals zu einem belagerten Fort im Feindesland gemacht hatte, ihre Wäsche zerfetzt und ihren Garten verwüstet.
    Als sie 1968 mit Farah in Hargeisa angekommen war, war am äußersten Rand der Stadt die Luft frisch, das Land billig und das Haus ihrer Mutter in Dhumbuluq so weit entfernt gewesen, dass Kawsar sich frei gefühlt hatte, aber trotzdem jeden Tag einen Besuch machen konnte. In der Erwartung, einen ganzen Haufen Kinder großzuziehen, hatten sie ein großes Grundstück gekauft, aber daraus war nichts geworden. Stattdessen hatten sich schubweise Nachbarn um sie herum niedergelassen wie Korallen auf einem Schiffswrack und einen neuen Vorort geschaffen. Sie benutzten Kawsars Brunnen, bevor sie sich selbst einen bauten, versammelten sich abends auf ihrer Türschwelle und riefen um Hilfe beim Kindergebären. Diese Clanmitglieder und die Fremden, die sie geheiratet hatten, waren ihre Familie.
    Kawsar erinnert sich, wie sie in Raages
dukaan
steht, der einem Puppenhaus ähnelt, grell glitzerndes Sonnenlicht verwandelt Blechdosen in Spiegel. Im Laden fühlt sich Kawsar wieder in ihre Kindheit versetzt, in der Hand das Geld der Mutter, die Schokolade und die Süßigkeiten auf dem Ladentisch füllen ihr Blickfeld. Der einfache Wellblechwürfel ist bis auf den letzten Zentimeter mit allem vollgestopft, was eine Hausfrau brauchen könnte: in Zellophan verpacktes Seifenpulver, frische Brötchen, Streichhölzer, Spielzeuggewehre und Süßigkeiten für gehorsame Kinder, Kunststoffschläuche, um ungehorsamen eine Tracht Prügel zu verabreichen. Raage thront hinter der hölzernen Ladentheke – groß, barsch, mit müden Hängeschultern. Er kam 1972 als Fünfzehn-, Sechzehnjähriger hierher, verkaufte für seine geschiedene Mutter Milch und baute sich langsam von den Einkünften einen Laden auf. Mittlerweile erledigt er seine Arbeit mechanisch, tauscht mit jedem Kunden die gleichen Höflichkeitsfloskeln aus, im kleinen Radio neben ihm läuft stets BBC World Service. Sein Gebet vor dem Morgengrauen verrichtet er im Laden und ist spätabends immer noch da, macht viel Aufhebensum Kleinigkeiten wie ein Vogel um sein Nest. Nur der Freitag läuft anders ab, wenn er ein Scheitelkäppchen auf seinem vorzeitig kahlen Kopf trägt und eine halbe Stunde lang schließt, um in der Moschee zu beten. Sein Gesicht ziert ein schütterer Bart, lang am Kinn, an den Seiten allerdings nur kümmerlich, was ihn mystisch und weise aussehen lässt.
    «Alles in Ordnung, Raage?», fragt Kawsar für gewöhnlich.
    «Manshallah
, gelobt sei Gott.»
    «Die Geschäfte laufen gut?»
    «Gut genug.»
    «Nabadgelyo
, auf Wiedersehen.»
    «Nabaddiino

    Worte schlicht wie Vogelgesang werden zwischen ihnen gewechselt. Kawsar hätte fast den gesamten Einkauf bei Raage erledigen können, trat aber lieber jeden Tag den Marsch in die Stadt an, um zu spüren, wie das Stadtleben auf ihrer Haut vibrierte.
    Mit immer noch geschlossenen Augen verlässt sie den Laden und steht vor Umar Fareys Hotel, die grün getönten Fenster sind immer verrammelt, und hinter dem dekorativen Mauerwerk auf dem Dach huschen Schatten umher. 1977 hat er von seiner Polizistenrente das Hotel gebaut, dasselbe Jahr, in dem ihm ein Straßenhund vier Finger abgebissen hat. Das Hotel wurde von Somaliern frequentiert, die von ihren Jobs aus Übersee zurückkehrten, hauptsächlich Matrosen und Ölarbeiter, und Farah pflegte dort seine Abende mit politischen Diskussionen zu verbringen. Zwischen 1977 und 1981 brachte das Hotel Schwung in die Nachbarschaft – Hochzeiten wurden gefeiert und lang vermisste

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