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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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die Regierung sei zu allem fähig, das Land sei für sie nichts als eine leere Leinwand, die sie nach eigenem Gutdünken bemalen könnte. Polizei, Armee und Bürokratie seien die Pinsel. Er hatte das Amt ein paar Monate lang innegehabt, als man ihm die vorzeitige Pensionierung verordnete. Die Polizei wurde von all jenen gesäubert, die die Verordnungen der Regierung infrage stellten, öffentliche Ausschreitungen waren undenkbar. Oodweynes Proklamationen wurden immer bedrohlicher, sein Spitzname «Große Stimme» sollte seine Radioauftritte karikieren, aber die Sätze, die er in seinem tiefen, schleppenden Ton von sich gab, wurden zusehends aufbrausender und überheblicher. Alle Bürger sollten begreifen, dass ihn niemand besiegen, nur der Tod ihn absetzen könnte.
    Die Wochen nach ihrer Rückkehr aus dem Krankenhaus vergehen im Opiumdämmer. Kawsar döst, soviel sie kann, und in der verbliebenen Zeit streitet sie sich mit Nurto oder brütet vor sich hin. Sie erträgt Nurtos Unordnung, die grobe Art, mit der das Mädchen sie morgens mit einem nassen Lappen abreibt, aber sie erträgt es nicht, sie jeden Tag zur gleichen Runde aufbrechen zu sehen, die Kawsar selbst die letzten vierzig Jahre täglich gemacht hat. In einen festen Kokon aus Unterrock,
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, Pullover und Decken gewickelt, die Haut bleich und feucht, kommt sich Kawsar wie eine riesige, empfindliche Seidenraupe vor, die ein Leben abseits des Sonnenlichts führt. Wenn sich doch nur feuchte Flügel auf ihrem Rücken entfalten und sie davontragen würden. Stattdessen ist sie wund gelegen. Als Nurto nachLadenschluss um ein Uhr zurückkommt, flammt die endlose Diskussion wieder auf.
    «Was hast du mit dem restlichen Geld gemacht?», fragt Kawsar mit einem prüfenden Blick auf das Wechselgeld, das ihr das Mädchen auf das Bett geknallt hat.
    «Das ist alles», keucht Nurto. Ihre Wangen sind gerötet, und ihre Kleider riechen streng, weil sie mit ihren Freundinnen über den Markt getobt ist.
    «Glaubst du vielleicht, statt meiner Hüfte hat mein Kopf was abbekommen?»
    Nurto ignoriert den Kommentar und stapft in die Küche.
    «Ich rede mit dir. Komm sofort her, oder du kannst in die Blechhütte zurückkehren, aus der du kommst.»
    Nurto taucht wieder in der Tür auf.
    «Wie viel hat das Kilo Reis gekostet?», fährt Kawsar fort, den Blick auf das Mädchen gerichtet.
    «Tausend Schilling», kommt herausfordernd die Antwort.
    «Und die Tomaten?»
    «Hundertfünfzig Schilling.»
    «Seit wann das denn?»
    «Seit sie teurer geworden sind.»
    Kawsar greift nach der Ledersandale, die nutzlos neben ihrem Bett liegt, und hebt sie hoch.
    «Vor einem Monat hat eine Tüte Tomaten achtzig Schilling gekostet, und jetzt willst du mir weismachen, dass die gleichen vertrockneten Tomaten hundertfünfzig kosten?»
    «Glaub doch, was du willst. Ich hatte Glück, überhaupt Reis zu kriegen, bevor er ausverkauft war. Die Leute haben um die paar letzten Beutel gekämpft, sich geprügelt und getreten. Gott da oben weiß, dass ich die Wahrheit sage.»
    «Gott weiß, dass du eine betrügerische, undankbare, unzuverlässige Lügnerin bist.»
    «Was weißt du denn schon? Du bist doch bloß eine … eine … stinkende Alte.»
    Kawsar wirft die Sandale nach ihr, aber Nurto weicht ostentativ nicht aus und räumt mit verächtlicher Miene den Wollkorb mit dem halb fertigen Strickzeug wieder ein, den das Geschoss umgeworfen hat.
    Nurtos Anwesenheit in ihrem Heim hat schon lange den Reiz des Neuen verloren und ist für sie nur noch erdrückend. Das ist jetzt Kawsars Leben, kein Garten, keine Familie, keine Bewegung. Sie ist bloß ein Magen, der gefüllt, und ein Hintern, der abgewischt werden muss, und dieses tägliche Kräftemessen mit dem Dienstmädchen gehört zu den wenigen Dingen, bei denen sie spürt, dass sie noch lebt. Ihre Gedanken drehen sich um das, was sie verloren hat und was ihr noch geblieben ist. Oft füllt sich der Bungalow wie eine riesige Muschel mit Meeresstille, ihre Tage sind leer, frei von Terminen und Pflichten. Statt Dahabo an ihrem Marktstand zu helfen oder sich um Zahras Kinder zu kümmern, beobachtet sie Nurto wie einen Geist. Sie ist eins geworden mit dem Bett, war sie einst ein zweibeiniges Geschöpf, sind ihr nun vier Metallbeine gewachsen, die Matratze ist mit ihrem Fleisch verschmolzen, die Federn sind mit ihren Rippen verwachsen. Sie ist gefangen in einem Körper in einem Bett in einem Haus, nur ihre Augen fühlen sich lebendig an, ihre Blicke flattern durch den

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