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Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Der Garten der verlorenen Seelen - Roman

Titel: Der Garten der verlorenen Seelen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Raum, lassen sich zögernd auf ihren staubigen Habseligkeiten nieder, den da und dort verstreuten geheimnisvollen Bündeln und Päckchen, wie sie typisch sind für das Zuhause alter Frauen. Das Bedürfnis, ihre Habseligkeiten zu bewahren, zu lagern und zu verhüllen, hatte sich allmählich eingestellt; sie kann sich nicht mehr erinnern, seit wann sie die Krümel vom Boden der Gewürzdose sammelt, die Wollfäden, die zu kurz für ein Strickwerk sind, oder die vertrockneten Seifenmedaillons, und wohin ihr Blick auch fällt, befindet sich ein weiteres Plastik- oder Stoffknäuel, das den Müll ihrer Existenz verbirgt. Alles ist in feste Bündel gestopft, ihre mehr als fünfzig Jahre Leben in dieser Stadt – die Papiere, das Gold, das Geld, die Fotos, Briefe und Kassetten – können zusammengepackt auf dem Rücken eines Kamels weggeschafft oder aber von einem heftigen Regen vernichtet werden. Ihr Bungalow, der in niemandes Hände übergeht, wird altersschwach zusammenbrechen und wieder zu Sand werden; ihr Leben voller Solidität, Ordnung und Anschaffungen wird weniger Spurenhinterlassen als die Feuerstellen längst verstorbener Nomaden in der Wüste.
    Es ist Zeit für die wöchentliche Waschung. Eine Metallschüssel mit lauwarmem Seifenwasser und ein Waschlappen bilden ihr Bad, aber Kawsar lässt Nurto Weihrauch anzünden, damit es im Raum gut riecht. Es ist ein guter Tag, um Wasser auf der Haut zu spüren; es hat gewittert, durch das Fenster waren Blitze zu sehen, die den Himmel wie Speere aufspießten, der Donner war bedrohlich und erdrückend wie ein wütender Vater und der Regen zischelnd und sanft wie die tröstenden Worte einer Mutter. Die Luft ist voller Feuchtigkeit, denn endlich ist die Trockenzeit vorbei. Es ist ein Tag, an dem man in behaglichem, teurem Rauch sitzen und sich von der Musik der schläfrigen, durchweichten Stadt auf der anderen Seite der Hauswände einlullen lassen möchte. Kawsar hat ein paar Schmerztabletten genommen, damit sie diese Stimmung auskosten kann, die sie in ihre Kindheit zurückversetzt. Ihre Mutter wusch sie immer im Hof mit den dicken, warmen Regentropfen der
Gu
-Zeit, die in einer Tonne gesammelt und dann aus einer Blechtasse über sie ausgegossen wurden. Fest packte die Mutter mit ihrer freien Hand Kawsars dünnen Oberarm, während das Mädchen in der kleinen Pfütze kicherte und mit den Füßen panschte, ihr das Lockenhaar feucht auf dem Rücken klebte. Das war ungefähr um die Zeit, als sie ihre
gudniin
gehabt hatte. Dahabo hatte ihre zuerst und verschwand für zwei Wochen, ehe sie in neuen Kleidern und Schuhen wieder auftauchte und ihr eine Handtasche am mit Reifen geschmückten Arm baumelte. «Wofür hast du denn die Armreifen bekommen?», fragte Kawsar mit offenem Mund.
    Dahabo legte die Handtasche behutsam auf die Treppe und warf einen raschen Blick über die Schulter; dann packte sie ihren Rocksaum und hob ihn geschwind, und die Armreifen gaben eine kleine Fanfare von sich, als wollten sie sagen: «Du siehst es, du siehst es nicht.»
    Beim Anblick der halb verheilten Wunde an der Stelle, wo sich Dahabos Scham befunden hatte, wurden Kawsars Augen weit. «Tut’s weh?» Sie wollte fragen, ob sie die Stelle noch einmal sehen dürfe, aber ihre Mütter hätten plötzlich auftauchen können.
    «Wenn ich
kaaji
, brennt’s.»
    «Wann ist es denn gemacht worden?»
    «Meine Cousinen vom Land sind zu Besuch gekommen, und sie haben uns gemeinsam drangenommen. Heute dürfen wir zum ersten Mal wieder gehen, unsere Beine waren tagelang zusammengebunden.»
    Kawsar streckte die Hand nach den Armreifen aus; ein Hauch Glitzer blieb an ihren schweißigen, eifersüchtigen Fingern haften.
    «Du solltest es auch machen lassen», zwitscherte Dahabo, und Kawsar würde es auf keinen Fall zulassen, dass sie zurückblieb, mit Schimpfnamen belegt wurde und nicht mitspielen durfte. Wenn es für Dahabo Zeit war, dann auch für sie.
    Am selben Abend hatte sie sich eng an ihre Mutter geschmiegt und gesagt, dass sie auch
halal
gemacht werden wolle wie Dahabo.
    «Aber du bist ein Jahr jünger und auch kleiner. Du bist noch nicht so weit, Kawsar.»
    Vielleicht war sie jünger und kleiner, aber als einziges Kind einer Witwe war Kawsar nicht daran gewöhnt, dass man ihr etwas abschlug, und bis zum nächsten Morgen hatte sie der Mutter ihren Willen aufgezwungen. Nach vierzehn Tagen stand eine Frau mittleren Alters mit ihrem Beschneidungswerkzeug vor der Tür.
    «Kawsar, Kawsar», Nurto rüttelt an ihrem

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