Der Garten der verlorenen Seelen - Roman
Gewaltbereitschaft, die Filsan nicht erwartet hat. Während sie hinter einer Schreibmaschine sitzt, Frage um Frage auf den Hotelier abfeuert, pirscht Roble sich heran und versetzt dem Mann präzise Schläge. Einmal muss Filsan kichern. Sie hält sich den Mund zu und wartet, dass der Anfall vorübergeht, aber der Häftling erinnert sie an eine Comicfigur mit Gehirnerschütterung; sie sieht förmlich zwitschernde Vögel um seinen Kopf kreisen. Umar Farey versucht, die Schläge gleichgültig hinzunehmen, jedes Mal dreht er seinen Kopf wieder stur nach vorn, die blutunterlaufenen Augen sind ausdruckslos auf sie gerichtet. Sie spürt, wie ihr die Ältesten über die Schulter auf die getippten Seiten spähen, ihr Atem kitzelt sie unerträglich im Nacken; sie dreht sich um und schreit: «Lasst mich um Gottes willen in Ruhe!»
«Was ist denn mit dir los?», fährt Roble sie an.
«Tut mir leid.» Sie lässt den Kopf sinken.
Das Verhör dauert noch eine Stunde, aber sie erhalten keine wichtigen Informationen. Mit blutender Nase wird der Gefangene in seine Zelle zurückgebracht, und Filsan bindet ihr Taschentuch um Robles geschwollene Knöchel und kauft ihm bei einem Straßenhändler eine Packung Eis, die er darauf pressen kann. Nervös berührt sie ihn, klopft ihm Staub vom Hemd und kontrolliert in regelmäßigen Abständen seine verletzte Hand, aber er ist ungewöhnlich schweigsam.
«Mit wem hast du da drin geredet?», fragt er schließlich auf ihrem Weg zurück ins Büro.
Filsan blinzelt heftig und setzt ein künstliches Lächeln auf. «Mit niemandem.»
«Und warum hast du gelacht?»
«Er sah lächerlich aus. Der Gefangene.»
«Das hat uns aber nicht besonders professionell aussehen lassen, oder?», sagt Roble streng. «Und nicht nur das. Ich ertappe dich manchmal dabei, wie du minutenlang in die Luft starrst und mit den Gedanken ganz woanders bist.»
«Tatsächlich?» Filsan spürt, wie ihr Gesicht brennt, beinahe so, als wäre ihr eine Maske abgerissen worden.
«Du bist anders als alle Frauen, die ich kenne.» Er lächelt, aber seine Worte klingen hart. Er sieht sie an, als wäre sie verrückt.
Gehorsam trottet Filsan mit gesenktem Kopf neben ihm her und fragt sich, wie lange er schon so von ihr denkt. Verstohlen wirft sie ihm Blicke zu, versucht, seinen Gesichtsausdruck zu ergründen; seine Augen sind zusammengekniffen, die Lippen bilden eine strenge Linie, aber so sieht er in letzter Zeit meistens drein. Sie schweigt und hofft, dass sich seine Laune bessert; vielleicht hat das Verhör sie ihm verdorben und er braucht einfach Zeit, bis er den dickköpfigen Hotelier und seine Lügen wieder vergisst.
Den ganzen Nachmittag über wechselt Roble kaum ein Wort mit Filsan und versteckt sich hinter einer Aktenbarrikade. Am frühen Abend entspannt sich die Atmosphäre, und er erklärt sich bereit, sie nach Hause zu bringen. Sie erreichen den Checkpoint, der ihrer Kaserneam nächsten liegt, nach Anbruch der Dunkelheit; die Soldaten haben sich um das Funkgerät geschart, schlanke, junge Männer in wollenen Militärmänteln, die für stämmige russische oder deutsche Soldaten gedacht sind. Die einzige Lichtquelle bildet eine schwache Taschenlampe, die einen weißen, immer schwächer werdenden Lichtkreis verbreitet. Als sie näher kommen, löst sich die Gruppe auf; die Männer salutieren vor Roble und mustern Filsan von oben bis unten und von unten bis oben.
«Es hat einen Angriff auf Burao gegeben, Captain», sagt der Bursche mit der Taschenlampe; sein Gesicht liegt im Schatten, und Filsan kann nur seine schiefen Zähne und das kleine spitze Kinn sehen.
«Wann?», bellt Roble und reißt einem Soldaten das Funkgerät aus der Hand; aus dem Lautsprecher dringt nur ein Knistern.
«Das ist nicht klar, Sir, könnte ein paar Stunden her sein. Es gibt schwere Gefechte, Hunderte Rebellen belagern die Stadt.» Seine Stimme klingt, als sei er immer noch im Stimmbruch, aber vielleicht findet er auch einfach nicht die richtigen Worte für die Situation, in die er geraten ist.
«Wo ist Ihr befehlshabender Offizier?»
«Er wurde nach Birjeeh beordert. Man glaubt, dass noch mehr Rebellen auf dem Weg nach Hargeisa sind, er organisiert Verstärkung für unseren Abschnitt.»
Filsan umklammert ihr Gewehr.
«Ich muss hierbleiben, bis ihr Offizier zurückkommt.» Roble streift sich den Gewehrgurt über den Kopf und wechselt auf eine andere Frequenz, wo sich leise Stimmen in Akronymen unterhalten.
«Ich bleibe ebenfalls, Captain.»
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