Der Gast des Kalifen
ihm meine Anwesenheit erträglicher machen. Ich hatte mich geirrt.
»Eure Probleme sind mir gleich«, sagte er und drehte sich unvermittelt um. »Nehmt, was Ihr wollt, und dann geht. Lasst mich in Frieden.«
Langsam schlurfte er davon, während ich ihm offenen Mundes hinterherstarrte.
jl 1/eine liebste Caitriona, es ist etwas geschehen, was mich mit einer Erregung erfüllt hat, wie ich sie schon seit langem nicht mehr verspürt habe. Es handelt sich um ein Ereignis, dessen Bedeutung mir noch nicht ganz klar ist, und doch kann ich nicht anders, als darin ein Zeichen von großer Wichtigkeit zu sehen. Mir ist durchaus bewusst, dass dies nicht das erste Mal wäre, dass ein Gefangener in einer plötzlichen Änderung seines öden Lebens einen Hoffnungsschimmer sieht, der keiner ist. Trotzdem überschlagen sich meine Gedanken, und meine Hände sind nass von Schweiß.
Früh an diesem Morgen - die Sonne war noch nicht aufgegangen, und es herrschte Dunkelheit im Palast - holten mich die Wachen. Ich war kaum wach, da zogen sie mich schon hinaus, sodass mir keine Zeit blieb, meinen Abgang vorzubereiten; sie wollten mir noch nicht einmal gestatten, meine Botschaft an dich, mein Herz, zu versiegeln. Glücklicherweise wurde auch Wazim durch den Lärm geweckt und kam uns nun im Gang entgegen; ich sagte ihm, was zu tun sei. So ging ich in dem sicheren Wissen, dass die Arbeit meiner Liebe eines Tages ihren Weg zu dir finden würde, meinem Schicksal entgegen.
Schließlich wurde ich vor den Kalifen al-Hafiz gebracht, um mein Urteil zu hören. Alles war genau wie zuvor. Wären nicht einige Tage seit meinem letzten Erscheinen vor dem Kalifen vergangen, hätte ich tatsächlich glauben können, nur um die Ecke gegangen zu sein, um Augenblicke später wieder zurückzukehren. Der Kalif mit seinem schneeweißen Turban und den Pfauenfedern saß wie zuvor auf seinem goldenen Thron unter der Palme und betrachtete mich mit
unverhohlener Feindseligkeit, als man mich vor ihn führte.
Man stieß mich auf die Knie, und ich wollte gerade den polierten Boden küssen, da riss man mich wieder in die Höhe. Der Kalifhob den Finger, und die Wachen ließen mich los. Eine Zeit lang saß der Kalif einfach nur da, blickte mich an und strich sich über den langen grauen Schnurrbart; ich erwiderte seinen Blick mit aller Gelassenheit, derer ich fähig war.
»So!«, sagte er nach einer Weile. »Man hat mir gesagt, du hättest in den vergangenen Tagen eifrig an deinem Buch geschrieben.«
»Das ist wahr, ehrwürdiger Kalif. Ich versuche, meine Zeit zu nutzen.«
»Und worüber schreibst du?«
»Ich schreibe einen Bericht über.«
».über deine Gefangenschaft«, ergänzte der Kalif.
».über meine Reisen, Herr«, berichtigte ich ihn. »Ich schreibe einen Bericht über meine Reisen in Outremer.«
Er grunzte und zupfte an seinem Schnurrbart, während er über meine Antwort nachdachte. In diesem Augenblick erkannte ich, dass der Mann vor mir unzufrieden und von Sorgen geplagt war. Erschöpfung war in seinen Augen zu sehen, und dabei war der Tag noch jung. »Wer wird diesen Bericht über deine Reisen lesen?«
»Ich schreibe ihn für meine Tochter. Auch wenn sie noch sehr jung ist, so hoffe ich doch, dass sie eines Tages wird wissen wollen, was aus ihrem Vater geworden ist, und dass sie ihn dann liest.«
»Ha!«, riefer, als hätte er mich bei einer Lüge ertappt. »Wie, stellst du dir vor, soll sie dieses Buch erreichen? Wer wird es ihr bringen?«
»Ich weiß nicht, wie und ob es sie erreichen wird«, antwortete ich offen. »Das zu entscheiden liegt bei Euch, ehrenwerter Kalif.«
Die Antwort überraschte ihn. »Es liegt an mir, das zu entscheiden?«
»In der Tat, Herr. Man hat mir in Eurem Namen versprochen, dass man mir einen letzten Wunsch erfüllen würde, und dieser Wunsch lautet, dass man meine Schriften meiner Tochter überbringen möge.«
Der Kalifdrehte den Kopfund verlangte von einem seiner Berater zu wissen: »Ist das so?«
Der Mann, ein dunkelbärtiger Geselle mit einem Korb voller zusammengerollter Pergamente, blickte auf ein vor ihm liegendes Dokument und nickte. »Das ist in der Tat so, o Herrscher aller Gläubigen. Wie es in Bagdad Brauch ist, hat man dem Gefangenen dieses Versprechen gegeben, und zwar eingedenk seiner adligen Herkunft.«
Man konnte den Eindruck gewinnen, als schlösse der Kalif die Augen, so stark runzelte er die Stirn. Er atmete tief durch und sagte: »Dann soll es auch so geschehen.«
Ich verneigte mich höfisch.
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