Der Gast des Kalifen
noch ein wenig auf Deck spazieren zu gehen, bevor auch ich mich schlafen legte. Ich schlenderte an der Reling entlang, und der Frieden der Nacht erfüllte meine Seele. Im Stillen betete ich für die Familie, die ich zu Hause zurückgelassen hatte, und für ein schnelles, erfolgreiches Ende meiner Reise. Derart in Gedanken versunken bemerkte ich nicht, dass ich nicht länger allein war. Schließlich hörte ich aber doch leise Schritte neben mir. Ich drehte mich um und sah, dass Sydoni mich beobachtete. »Es tut mir Leid, dass ich Euch gestört habe«, sagte sie leise, doch keineswegs zaghaft und trat näher.
»Ihr habt mich nicht gestört.«
»Eine schöne Nacht«, bemerkte sie und blickte in den Himmel hinauf. »Ich konnte noch nie schlafen, wenn der Mond so hell scheint und die Luft so warm ist. Oft sitze ich die ganze Nacht irgendwo allein und betrachte die Sterne.«
»Daheim habe ich oft das Gleiche getan.«
Den Blick noch immer nach oben gerichtet fragte sie: »Ist es schön dort, wo Ihr lebt?«
»Es ist ganz anders als hier«, antwortete ich, »und ich könnte mir denken, dass es sich sogar noch mehr von Eurer Heimat in Ägypten unterscheidet.«
Sydoni lächelte, und ihre Zähne funkelten weiß in der Dunkelheit. »Nicht alle Kopten sind am Nil geboren. Ich zum Beispiel habe nie in Ägypten gelebt - ebenso wenig wie mein Vater.«
»Aber ich dachte.«
»Ich bin in Damaskus aufgewachsen«, erklärte sie. »Bestimmt hätte ich mein ganzes Leben dort verbracht. Es ist eine wunderbare Stadt ... oder zumindest war sie das. Ich war dort sehr glücklich.«
»Warum habt Ihr sie verlassen?«
»Wir waren gezwungen zu fliehen«, antwortete sie, und ihre Stimme nahm einen leicht düsteren Tonfall an, »und wir waren nicht die Einzigen. Dreitausend Christen sind an jenem Tag aus ihren Häusern vertrieben worden. Wir hatten mehr Glück als die meisten. Viele verloren alles... einschließlich ihres Lebens. Uns nahm man nur das meiste Gold und Silber ab, doch von dem Rest gestattete man uns, so viel mitzunehmen, wie wir tragen konnten.«
»War das wegen des Kreuzzugs?«, fragte ich.
Sydoni schüttelte den Kopf. »Nein, es war wegen der Fedai'in.«
Das Wort verwirrte mich. »Was ist ein Fedai'in?«
»Die Fedai'in. Einzeln heißen sie nur Fedai«, berichtigte sie mich. »Habt Ihr noch nie von Ihnen gehört?«
»Nein«, antwortete ich, »aber ich bin ja auch noch nicht lange im Orient.«
»Ich wünschte, ich hätte auch noch nie von ihnen gehört. Es sind widerwärtige, hassenswerte Mörder«, erwiderte sie voller Abscheu in der Stimme. »Manche nennen sie Batinis - >jene, die einem geheimen Glauben anhängen<. Sie sind der Grund, warum man uns gezwungen hat, Damaskus zu verlassen.«
Als fürchte sie, schon zu viel gesagt zu haben, schwieg sie plötzlich. Ich versuchte, sie zum Weiterreden zu bewegen, doch sie sagte, sie wäre müde, und kurz daraufging sie wieder hinunter und überließ mich der Nacht und den Sternen.
Am nächsten Tag ließen weder sie noch ihr Vater sich bis zum Mittag an Deck sehen. Padraig und ich verbrachten den Morgen
mit Fischen, und tatsächlich fingen wir auch genug, dass es für das Abendessen reichte. Ich erzählte dem Priester, was Sydoni mir in der Nacht zuvor gesagt hatte, und fragte ihn, ob er je von den Fe-dai'in gehört hatte. Doch auch Padraig konnte mit dem Namen nichts anfangen, und so fragten wir Roupen.
»Wo habt ihr diesen Namen gehört?« Sein Blick huschte hierhin und dorthin, als fürchte er, jemand verstecke sich hinter dem Mast und würde sich jeden Augenblick auf uns stürzen.
»Sydoni hat mir von ihnen erzählt«, antwortete ich. »Sie sagte, sie wären der Grund dafür, warum man sie und ihren Vater aus Damaskus vertrieben hat. Sie sagte, außer ihnen hätten noch dreitausend andere Christen an diesem Tag die Stadt verlassen müssen.«
Der junge Fürstensohn zuckte mit den Schultern. »Das überrascht mich nicht. Solche Dinge geschehen nun mal . besonders wenn die Fedai'in damit zu tun haben.«
»Aber wer sind sie?«, hakte Padraig nach.
»Fedai'in bedeutet >jene, die ihrem Leben...<«, er suchte nach einem geeigneten Wort, »>...die ihrem Leben entsagt haben<... Sie haben ihr Leben geopfert, wenn ihr so wollt.«
»Sydoni hat gesagt, sie hingen einem geheimen Glauben an«, warf ich ein.
Roupen nickte. »Das ist der Grund, warum niemand etwas Genaueres über sie weiß. Sie sind sehr geheimnisvoll. Ich habe sogar gehört, dass sie sich lieber selber umbringen,
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