Der Gast des Kalifen
nicht mit dem Wissen leben, welches Leid du ertragen musst.«
»Wenn Gott mir das Verlangen eingegeben hat zu gehen, und ich gehe nicht«, erwiderte ich, »was soll ich dann tun? Wie soll ich damit leben?«
ch verließ Banvarö, ohne noch einmal mit meinem Vater gesprochen zu haben, und diesen bitteren Abschied bereue ich bis heute. Glaube mir, Cait, ich würde die ganze Welt und ihre Schätze dafür geben, wäre ich nur mit dem Segen des einen Mannes aufgebrochen, dessen Zustimmung allein mir die Kraft gegeben hätte, all die Prüfungen zu bestehen, denen ich mich habe stellen müssen. Doch Murdo rückte nicht von seiner Meinung ab. Er weigerte sich, mit mir zu sprechen, es sei denn, ich gäbe meinen Plan auf; doch das konnte ich nicht.
Seitdem hatte ich oft Gelegenheit, mich zu fragen, was er wohl gesagt hätte, hätte er den wahren Grund für die Pilgerfahrt gekannt. Hätte es einen Unterschied gemacht?
Wer kann das sagen?
Du musst Folgendes wissen, meine Seele, und erinnere dich immer daran: Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Für mich bedeu-tet das Ende dieses Lebens den triumphalen Übergang zum nächsten. Aber der Gedanke, dass ich in diesem fremden Land sterben soll, ohne die Gesichter jener wiederzusehen, die ich über alles liebe, erfüllt mich mit solchem Schmerz, dass es mir den Atem raubt.
Doch wie auch immer, geduldig ertrage ich mein Los um deinetwillen und bete, dass der Kalif noch eine Weile auf sich warten lässt, damit ich beenden kann, was ich begonnen habe.
Wie ich zugeben muss, ist es eine ausgesprochen seltsame Gefangenschaft, in der ich mich befinde. Man reicht mir die besten Speisen und Getränke und erfüllt mir meine bescheidenen Wünsche ohne die Demütigungen, die sonst üblicherweise Teil einer Gefangenschaft sind. Ich habe sogar einen Diener, der mir aufwartet, und in vielerlei Hinsicht werde ich tatsächlich wie ein geehrter Gast mit aller gebührenden Höflichkeit und allem Respekt behandelt. Und ich nehme diese Gaben dankbar an, denn ich weiß, wie rasch sich alles ändern kann.
Die Mohammedaner sind ein edles Volk; wäre Frieden möglich, so glaube ich, dass wir einander als Brüder erkennen würden. Doch leider ist bereits zu viel Blut auf beiden Seiten vergossen worden, als dass Vergebung möglich wäre. Es wird niemals Frieden zwischen unseren Völkern geben, es sei denn, unser Herr Jesus Christus bringt ihn uns bei seiner Rückkehr. Das glaube ich von ganzem Herzen.
Nun werde ich dir berichten, wie ich nach Marseille gelangte.
Am Morgen, da ich das Boot nahm, bat ich Sarn, mich zu begleiten. Ich sagte ihm nicht, wohin ich fahren wollte. Am Abend zuvor hatte ich mich von allen verabschiedet - nur dass es niemand wusste -, war bei Sonnenaufgang aufgestanden und zur Bucht hinuntergegangen, um Sarn in seinem Nest aus Rudern und Segeltuch zu wecken. Bei warmem Wetter schlief er stets in der kleinen Hütte unter den Klippen am Strand.
Ich ließ ihn in dem Glauben, dass wir Fischen gehen würden, bis wir die Landspitze umrundet hatten; dann befahl ich ihm, nach Inbhir Ness zu segeln. Nun fiel ihm auch das Bündel auf, das ich an Bord gebracht hatte. »Wo wollt Ihr hin, junger Herr?«, fragte er.
»Ich gehe eine Zeit lang fort«, antwortete ich.
»Auf Pilgerfahrt?« Ein verschlagener Ausdruck huschte über sein offenes, ehrliches Gesicht und verlieh ihm ein leicht schwachsinniges Aussehen.
Natürlich wusste jedermann in unserem Land von meiner Absicht, auf Pilgerfahrt zu gehen - und vom unnachgiebigen Widerstand meines Vaters dagegen. In der gesamten Siedlung war immer und immer wieder darüber gesprochen worden, und die meisten hatten sich auf die eine oder andere Seite geschlagen.
»Hast du eine Wette auf mich abgeschlossen?«
Sarn lächelte. »Ja, Herr«, gestand er ohne Hinterlist. »Ihr seid der Sohn Eures Vaters. Einige andere sagten, Ihr würdet bleiben, doch ich wusste, dass Ihr gehen würdet.«
»Wenn du mich nach Inbhir Ness gebracht hast, kannst du zurückkehren und deinen Gewinn einstreichen«, sagte ich ihm.
»Der Wind ist gut. Wir werden noch vor Sonnenuntergang dort sein«, verkündete er und blickte in den Himmel. Dann deutete er auf mein kleines Bündel und sagte: »Seid Ihr sicher, dass Ihr genug Proviant dabei habt, um damit bis nach Jerusalem zu kommen? Der Abt sagt, es sei weit weg von hier.«
»Ich habe genug«, erwiderte ich. »Es reicht für drei oder vier Tage. Danach bin ich in Gottes Hand. Er wird schon für mich sorgen.«
»Habt Ihr ein
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