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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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der Neal nackt an Händen und Füßen an den Boden genagelt war.
    Neal richtete seine Aufmerksamkeit auf Rasputins Körper. Der Mann war groß und extrem dünn, doch seine Muskeln waren wie Drahtseile. Er trug schwere bequeme Stiefel. Eine enge Lederhose, unter der es so warm war, dass Rasputin von der Hüfte abwärts der Schweiß herunterlief, wodurch das Leder sich an Hintern, Schwanz und Beinen glitschig anfühlte. Keine Unterwäsche. Mehrere Gegenstände in den Hosentaschen – das Ding rechts vorn könnte die Zange sein. Einen Gürtel um die Taille. An seiner linken Hüfte ein Gewicht, das Neal für eine Scheide mit einem Messer hielt.
    Am Oberkörper ein bequemes langärmeliges Hemd. Darunter Verbände und Wunden.
    Die Verbände schienen nicht aus dem Zeug zu bestehen, das Rasputin aus Neals Arzneischränkchen gestohlen hatte. Sie waren um seine Brust, die Schultern und die Stirn gewickelt, als hätte jemand versucht, ihn in eine Mumie zu verwandeln.
    Rasputin hatte offenbar medizinische Hilfe bekommen.
    Sie müssen Schusswunden melden.
    Er war wahrscheinlich bei einem korrupten Arzt gewesen – davon gab es in L. A. reichlich.
    Wie findet man einen korrupten Arzt? Ganz einfach. Man fragt seinen korrupten Anwalt.
    Schnell zusammengeflickt, und auf geht’s.
    Er hat keinen Hammer dabei, fiel Neal plötzlich auf. Rasputins einzige Waffen schienen die Zange und das Messer zu sein.
    Wie will er mich an den Boden nageln, wenn er weder Hammer noch Nägel dabei hat?
    Will er sich bei mir welche ausleihen? Dann muss er sie erst einmal finden.
    Vielleicht sucht er gerade danach.
    Rasputin war nämlich nicht direkt ins Schlafzimmer gegangen, obwohl er sicher war, dass Neal dort schlief.
    Pass auf, sagte sich Neal. Was hat der Dreckskerl vor?
    Er genießt die Vorfreude.
    Und will sichergehen, dass niemand aus einem anderen Zimmer hereinplatzt und ihn überrascht.
    »Sind wir ganz allein heute Nacht, Neal? Kein Besuch? Bist du ein einsamer Junge? Ich leiste dir Gesellschaft. Kuckuck! Leslie Glitt, stets zu Diensten.«
    Er zog das Messer aus der Scheide und trat in die Küche.
    Leslie Glitt, dachte Neal. Heißt er so? Leslie?
    Während er durch die Küche ging, überlegte Rasputin, ob er die Stiefel ausziehen sollte. Auf dem Linoleumboden konnte er damit nicht leise gehen. Doch er entschied sich dagegen. Die Anstrengung des Ausziehens würde den Schmerz in seinen Wunden befeuern. Außerdem würde er sie im Schlafzimmer wieder anziehen müssen.
    Er müsste sie anhaben, wenn er sich Neal schnappte.
    Er stellte sich vor, wie er an das Bett schlich und Neal das Messer an die Kehle drückte. »Aufwachen, Schlafmütze – Leslie ist gekommen, um mit dir zu spielen.« In seiner Fantasie schreckte Neal auf und schnappte nach Luft. »Erinnerst du dich an mich? Du hast auf mich geschossen, du mieser Schwanzlutscher.« Er malte sich aus, wie er Neal ein paarmal mit dem Messer stach. »Aber du hast mich nicht getötet. Zu schade. Und die Schlampe hast du auch nicht gerettet. Oder? Hast wohl gedacht, du hättest ihr den Arsch gerettet, du großer Held. Nein, nein, nein. Falsch. Wie schade. Du hättest sehen sollen, was ich mit ihr gemacht habe. Du hättest hören sollen, wie sie geschrien hat.« Die ganze Zeit stach er Neal mit dem Messer. Er stieß nicht richtig zu, sondern pikste ihn nur, sodass er zurückzuckte und blutete. »Aber sie hatte einen leichten Tod. Warte mal ab, was ich mit dir mache. Und jetzt steh auf.« Neal zögerte, deshalb verpasste ihm Leslie einen Schnitt quer über den Augapfel. »Steh auf. Wir machen einen Ausflug. Ich bring dich an einen ganz besonderen Ort.«
    Einen Ort, an dem es einen Holzboden gibt, vermutete Neal.
    Rasputin trat bebend und mit steifem Penis durch die Schlafzimmertür, blieb stehen und starrte auf das Bett. Neal blickte durch seine Augen – und sah dasselbe wie er.
    Im grauen Schein, der durch die Vorhänge fiel, war das Bett eine faltenlose Fläche. Niemand lag darauf. Unter der Decke zeichneten sich keine verräterischen Hügel ab.
    Nein! Das ist unmöglich! Er ist hier! Er muss hier sein!
    Rasputin streckte den Arm aus und drückte auf den Lichtschalter. Die plötzliche Helligkeit schmerzte in seinen Augen. Er blinzelte.
    Das Bett war leer, ordentlich gemacht.
    Er lief zum Wandschrank und riss die Tür auf.
    Kein Neal.
    »Du bist hier! Ich weiß, dass du hier bist! Du MUSST hier sein!«
    Er eilte zur anderen Seite des Betts, sank auf die Knie, beugte sich unter Schmerzen vor und spähte

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