Der Gast: Roman
ist nach hinten gefallen und wollte sich festhalten. Wir waren gestern mit dem Boot draußen, und sie hat das Gleichgewicht verloren.«
»Geht’s ihr gut?«, fragte Sue. »Ich meine, ist sie ertrunken oder so?«
»Sie ist ein bisschen nass geworden, sonst nichts. Aber mich hat sie mit ihren verdammten Fingernägeln in Stücke gerissen.«
Er warf einen Blick auf Sues Hände. Ihre Nägel waren bis zu den Kuppen abgekaut.
»Muss sich beschissen angefühlt haben.«
»Ja.«
»Huch!« Sie spitzte die Lippen und drückte den Stift dagegen. »Wir dürfen nicht fluchen.«
»Ich verrate es niemandem.«
Sue zwinkerte ihm zu. »Du bist echt süß.« Sie tippte ihm mit dem Radiergummi am Ende des Stifts ein paarmal auf den Kopf, dann wirbelte sie herum und ging zur Theke.
Neal sah ihr lächelnd hinterher.
Vielleicht sollte ich wirklich probieren, in sie hineinzuschlüpfen. Ist bestimmt ziemlich seltsam in so einem Kopf.
Nicht unbedingt angenehm, aber seltsam. Und wahrscheinlich interessant.
Ich sollte es tun, sagte er sich – wenn auch nur zu Forschungszwecken.
Er überlegte, wie er es anstellen sollte.
Soll ich es jetzt gleich versuchen?
Er stellte sich vor, wie sein verlassener Körper sich ein wenig zur Seite neigte, langsam umkippte, auf das Sitzkissen fiel und unter den Tisch rollte.
Das wäre wirklich grandios, dachte er. Vergiss es.
Neal trank Kaffee und sah sich um. Auf der anderen Seite des Raums saßen in einer Nische zwei Streifenpolizisten.
Er spürte eine plötzliche Anspannung.
Sie saßen einander gegenüber, der eine aß und nickte, während der andere redete. Neal konnte nicht verstehen, worüber. Doch es musste ziemlich lustig sein.
Er befürchtete, sie würden bemerken, dass er sie anstarrte, sah daher weg und trank noch einen Schluck Kaffee.
Er fragte sich, ob er schon unter Verdacht stand.
Wurde bereits nach ihm gefahndet?
In einem Fahndungsaufruf wären vermutlich sowohl er als auch sein Auto beschrieben und die Autonummer angegeben. Doch er bezweifelte, dass sich ein Foto von ihm darin befände. Diese Polizisten würden kaum erschrocken nach Luft schnappen und zu ihren Waffen greifen, wenn sie sein Gesicht sähen.
Ich sollte lieber mal die Nachrichten anhören, dachte er.
Er wollte zwar nichts von dem Mord an Elise hören, doch ihm war klar, dass er wenigstens das Autoradio anschalten sollte, um herauszufinden, ob etwas über eventuelle Verdächtige gesagt wurde.
Vielleicht haben sie Rasputin schon geschnappt.
Das mache ich, beschloss er. Sobald ich mit dem Frühstück fertig bin.
Als sein Frühstück kam, sah er, dass das Eiweiß noch flüssig war.
»Alles in Ordnung?«, fragte Sue.
»Ja«, sagte er.
»Brauchst du noch was?«
»Nein, das war’s.«
»Alles klar.« Sie zwinkerte ihm zu und drehte sich um.
Er hob mit der Gabel etwas Eiweiß vom Teller. Es war klar und glibberig und hing wie Schleim von den Zinken herab. Sein Appetit schwand.
Gut, dass ich allein bin, dachte er. Wenn meine Mutter hier wäre, würde sie mich dazu bringen, es zurückzugeben. Marta würde vermutlich dasselbe tun.
Doch er hatte keine Lust, Schwierigkeiten zu machen.
Vor allem nicht wegen so einer Sache. In manchen Lokalen bekam man sein Spiegelei mit flüssigem Eigelb und festem Eiweiß – so wie er es mochte. In anderen eben mit flüssigem Eigelb und schleimigem Eiweiß.
Weder der Koch noch Sue waren daran schuld. Neal hätte bei der Bestellung sagen sollen, dass er das Eiweiß fest wollte.
Er aß sein Frühstück. Alles bis auf das Eiweiß.
Sue kam gelegentlich vorbei, um seinen Becher aufzufüllen und zu fragen, ob alles in Ordnung sei.
»Wirklich gut«, sagte er.
Schließlich lehnte er ab, als sie ihm wieder Kaffee nachgießen wollte. »Lieber nicht«, sagte er. »Ich habe noch eine lange Fahrt vor mir.«
»Wohin fährst du denn?«
»The Fort.«
»Echt? The Fort?«
»Hast du schon mal davon gehört?«
»Klar! Aber ich war noch nie da. Die Achterbahn soll einen wirklich aus den Socken hauen. Das würde ich echt gern mal ausprobieren. Ich liebe Achterbahnen.« Sie grinste und kaute auf ihrem Kaugummi.
»Ich auch.«
»Sag mal, was hältst du davon, wenn ich mitkomme?«
»Mit mir?«
»Klar!« Sie nickte wild mit dem Kopf. »Was meinst du?«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Hey, nein. Ich doch nicht. Also, was sagst du?«
»Was ist mit deinem Job?«
»Kein Problem. Sunny sagt der alten Marge Bescheid, dass sie für mich einspringen soll. Ich war noch nie in The Fort.
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