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Der Gast: Roman

Der Gast: Roman

Titel: Der Gast: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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müssen, sagte er sich. Hier kann ich nicht länger wohnen.
    Doch das könnte er auch später noch endgültig entscheiden. Jetzt wollte er einfach nur ein paar Kilometer zwischen sich und seine Wohnung bringen.
    Er fuhr auf seinen Parkplatz, schaltete den Motor aus und fragte sich, ob er mit dem Armband einen kurzen Erkundungsgang durch seine Wohnung unternehmen sollte.
    Und meinen Körper hierlassen?
    Keine gute Idee, dachte er.
    Er spürte das Gewicht der Pistole an seiner Hüfte.
    Ich hoffe, der Dreckskerl ist da oben und wartet auf mich.
    Klar.
    Beunruhigt stieg er aus und ging mit schnellen Schritten los. Er sah sich in alle Richtungen um, während er durch das Tor ging und die Treppe zum Laubengang hinaufstieg. Alles schien in Ordnung zu sein. Vor seiner Wohnungstür zog er die Pistole aus der Hosentasche. Während er mit der linken Hand die Tür aufschloss, hielt er die Waffe schussbereit in der rechten.
    Drinnen schaltete er das Licht an. Im Wohnzimmer war niemand. Er schloss die Tür hinter sich.
    Dann ging er mit der Pistole in der Hand durch alle Räume.
    Niemand da.
    Alles bestens.
    Neal brauchte eine halbe Stunde, um seine Sachen zu packen, und noch einmal zehn Minuten, um sich den Weg zu The Fort auf der Karte anzusehen. Er klemmte sich die Straßenkarten unter den Arm und ging mit einem schweren Koffer zum Wagen hinunter. Nachdem er das Gepäck im Kofferraum verstaut hatte, stieg er ein und fuhr los.
    Er hielt sich auf Nebenstraßen und schlug fast den gleichen Weg ein wie am Sonntag, als er zu Video City gefahren war. Über den Robertson Boulevard wäre es schneller gegangen, doch das kam ihm gefährlicher vor als über die kleinen Straßen, die sich durch die ruhigen Wohnviertel wanden.
    Er wollte keinem Auto voller schießwütiger Gangster begegnen.
    Und er wollte wissen, ob ihm jemand folgte.
    Im Rückspiegel waren keine Scheinwerfer zu sehen. Aber er befürchtete, Rasputin könnte sich ohne Licht an ihn gehängt haben, deshalb bog er mehrmals wahllos ab. Ein paarmal hielt er sogar am Straßenrand, schaltete die Scheinwerfer aus und wartete.
    Es kam kein Fahrzeug vorbei.
    Schließlich war er sich ziemlich sicher, dass ihm niemand folgte, und er nahm die Auffahrt auf den Santa Monica Freeway. Eine Weile fuhr er nach Westen, dann bog er nach Norden auf den Highway 405. Es herrschte kaum Verkehr, und in der nächsten halben Stunde würde er nicht abbiegen müssen. Er atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen.
    Er fühlte sich, als würde er in den Urlaub fahren – und zugleich wie ein Flüchtling auf dem Weg zu seinem Versteck.
    Was denn nun?, fragte er sich.
    Beides?
    Die Gefühle schienen sich zu widersprechen, doch trotzdem blieben sie ihm beide erhalten.
    Er hatte solche Dinge in den Leuten gesehen, die er besucht hatte: Sie waren voller Widersprüche.
    Vielleicht sind wir das alle, dachte er.
    Vielleicht auch nicht.
    Neals Gefühle und Gedanken waren jedenfalls fast immer widersprüchlich.
    Zumindest bei wichtigen Sachen, sagte er sich. Wie zum Beispiel bei dieser Reise.
    Marta zurückzulassen …
    Es fiel ihm wirklich schwer.
    Andererseits empfand er ein gewisses Gefühl der Freiheit bei der Aussicht, weit von ihr entfernt zu sein.
    Und er träumte von ihrem Wiedersehen.
    Er stellte sich vor, wie er in ihre Wohnung ging, nachdem er eine oder zwei Wochen weg gewesen war. Sie trug ein T-Shirt, sonst nichts – genau wie Karen. Sie stürmte in seine Arme und umschlang ihn. »O Gott, Neal, ich habe mir solche Sorgen gemacht.« Und er sagte: »Ich habe dich so sehr vermisst, Marta.« Er schob die Hände unter das T-Shirt und umfasste ihre Hinterbacken. Er spürte ihre weiche Kühle.
    Das ist dasselbe Kopfkino, das bei Karen ablief, als sie an Darren dachte, bemerkte er.
    Er nahm an, dass es bei ihm schon immer so gewesen war.
    Diese Filme, verschiedene gedankliche Selbstgespräche, die vagen nonverbalen Ideen, die durch seinen Kopf geisterten, und die konstante Wahrnehmung seines Körpers und der Umgebung – all dies war schon immer Teil seines Lebens gewesen, doch er hatte nie besonders darauf geachtet. Es war einfach eine Mischung aus Gedanken und Gefühlen gewesen, die in seinem Kopf wohnten. Er hatte sie als etwas Selbstverständliches betrachtet und nie darüber nachgedacht.
    Bis er das Armband bekommen hatte.
    Er hoffte, diese neue Bewusstheit der Prozesse würde sein Innenleben nicht zu sehr stören.
    So wie sie gerade meinen kleinen Tagtraum vom Wiedersehen mit Marta gestört hat

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