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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Antworten auf ihre zugerufenen Fragen zurufen wird. Der wahre Grund für den Umzug ist, daß er sich ans Yjacking in der Badewanne mit einem weiblichen Wesen gewöhnt hat, dessen Nacktheit unter die Haut geht, und auch daran, mit einem sibirischen Nachtfalter im selben Bett zu schlafen und am Morgen von Strichweise Regen geweckt zu werden, die ihm »Yo!« ins Ohr murmelt, während sie seinem schläfrigen Fleisch verwertbare Erektionen entlockt.
    Aufgrund seiner langen Erfahrung mit Unannehmlichkeiten fragt sich Lemuel, wann die Seifenblase platzen und die Probleme beginnen werden.
    Das Telefon in der Wohnung über dem Rebbe hört auch nach Lemuels Auszug nicht zu klingeln auf. Der Rebbe rennt die Treppen hinauf und stürzt in seiner Hektik mehrere Büchertürme um. Er stellt sich jedem Anrufer als Lemuels Agent vor und notiert Angebote, für umweltfreundliche Waschmittel oder Backofenreiniger zu werben.
    »Sie lassen sich schon wieder eine lukrative Gelegenheit durch die schwieligen Finger gleiten«, tadelt er Lemuel, wenn er ihm die Angebote des Tages durchtelefoniert.
    Lemuel hört kaum auf den Rebbe. Es hat fünf weitere Morde gegeben in den drei Wochen, die er jetzt über den Dossiers sitzt, die ihm der Sheriff gegeben hat, wodurch sich die Gesamtzahl der Opfer auf achtzehn erhöht hat. Er ist besessen von der Idee, die Informationen in den Akten des Sheriffs zu quantifizieren, seinen Computer mit Bytes zu füttern, Programme zu entwickeln, mit denen er das Material auf Zufälligkeit testen kann. Ist er nun endlich doch auf ein Beispiel für reine, wenn auch makabre, Zufälligkeit gestoßen? Sein Herz sagt: Warum nicht? Sein Kopf sagt ihm, daß diese scheinbare Zufälligkeit nichts weiter ist als der Name, den er seiner Unwissenheit gibt.
    Aber was weiß er nicht?
    »Was sollte ich mit dem Geld anfangen?« fragt er, als der Rebbe ihn wegen des letzten Anrufs belemmert, eines Angebots, für biologisch abbaubare Unterwäsche zu werben. »Ich bin jetzt schon reicher, als ich es mir in meinen kühnsten Träumen erhofft hätte. Das Institut zahlt mir zweitausend US-Dollar im Monat. In Petersburg wären das zwei Millionen Rubel. Als ich Rußland verließ, betrug mein Monatsgehalt am Steklow-Institut siebentausendfünfhundert Rubel.«
    »Sind Sie auf ihren Streifzügen nie auf etwas gestoßen, was den Namen Kapitalismus trägt? Mit Geld kann man noch mehr Geld machen«, ruft der Rebbe. »Mit mehr Geld kann man Gott dienen, kann man eine Talmudschule bauen, kann man den ganzen Tag und auch noch nächtens im Schlaf die Chaossträhnen in der Thora entwirren. Ihre Haltung ist mir ein Rätsel«, fährt er erregt fort. »Sie ist unamerikanisch.«
    »Ich bin kein Amerikaner«, erinnert Lemuel den Rebbe.
    »Das ist keine Entschuldigung«, knurrt der Rebbe.
    Da die Temperatur schon den dritten Tag über den Nullpunkt steigt, kann man hören, wie Rain in der Garage unter der Wohnung eine betagte Harley-Davidson tunt. Am Sonntag bringt sie den Motor auf Touren und macht mit Lemuel eine Spritztour auf der schmalen, gewundenen, unbefestigten Straße, die sich um den See herum und durch einen Kiefernwald westlich von Backwater schlängelt. Auf dem Soziussitz hinter Rain klebend, sich mit Schenkeln und Armen an sie klammernd, den Kopf platt an die Rückseite ihrer abgenutzten ledernen Fliegerjacke gedrückt und den pfeifenden Fahrtwind im Ohr, während über ihm Wolken durch die kahlen Zweige flitzen, verspürt Lemuel ein merkwürdiges Hochgefühl. ein Loslassen. Er spürt, daß er zum erstenmal über die Welt des Chaos hinausgelangt in Richtung. worauf?
    In Richtung auf etwas, womit er keine Erfahrungen hat und das er nicht quantifizieren, geschweige denn identifizieren kann.
    Als sie auf der Rückfahrt nach Backwater den See erreichen, lenkt Rain die Maschine von der Straße, stellt den Motor ab und schlendert ans Ufer hinunter, um ihr Spiegelbild im stillen Wasser zu betrachten. »Ich bin wirklich schön geworden«, bemerkt sie, als Lemuel nachkommt.
    »Bescheiden bist du nicht geworden«, erwidert er trocken.
    »Hey, laß mich zufrieden«, gibt Rain zurück. »Als Mädchen muß man doch wissen, was für einen spricht.«
    Sie legen sich in die Sonne, die zum erstenmal seit Lemuels Ankunft im Gelobten Land nicht nur Licht, sondern auch Wärme spendet. Der Klang von Rains Stimme macht ihn schläfrig, und er gleitet in einen unruhigen Schlaf. Der kleine Junge krümmt sich in einer Ecke. die gesichtslosen Männer mit den dicksohligen,

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