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Der Gastprofessor

Der Gastprofessor

Titel: Der Gastprofessor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Kapitalismus Gelegenheit bekommen.«
    Ein Fernsehreporter dreht sich um und spricht in die Kameras. »Der russische Immigrant, der sein Leben riskiert hat, um den Kreis vor radioktiver Verseuchung zu bewahren, ist entschieden für die Todesstrafe.«
    »Würden Sie uns Ihre Meinung über den sauren Regen sagen?«
    »Was halten Sie von gemischten Schulen als Maßnahme gegen ethnisches Ungleichgewicht?«
    »Würden Sie sich ein amerikanisches oder ein japanisches Auto kaufen?«
    »Wie stehen Sie zum Haushaltsdefizit?«
    »Sind Sie jemals Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen oder sind Sie es noch?«
    »Es gibt keine Kommunistische Partei mehr«, murmelt Lemuel, aber es ist, als sei er gar nicht anwesend.
    »Sind Sie homosexuell oder sind Sie es jemals gewesen?«
    »Ist etwas Wahres an dem Gerücht, daß Sie HIV-positiv sind?«
    »Würden Sie es wieder tun?«
    »Wenn Sie noch einmal leben könnten, was würden Sie anders machen?«
    Wenn Sie etwas ungeschehen machen könnten, was Sie getan haben, wofür würden Sie sich entscheiden?«
    »Wenn Sie etwas tun könnten, was Sie unterlassen haben, wofür würden Sie sich entscheiden?«
    Ohne zu überlegen, platzt Lemuel mit etwas heraus, was ihm selbst sinnlos erscheint. »Ich würde denen sagen, daß ich es war, der die Ausbildungsvorschrift versteckt hat.« Aber keiner hört ihm zu.
    »Wie denken Sie über Abtreibung?«
    »Haben Sie vor, politisches Asyl zu beantragen?«
    »Wollen Sie die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen?«
    »Haben Sie vor, bei der nächsten Wahl für den Kongreß zu kandidieren?«
    »Welches sind Ihre akademischen Ambitionen?« Rain zeht sich eins der baumelnden Mikrofone vor den Mund. »Er hat keine Ambitionen«, ruft sie in das Mikrofon ein Statement für die überregionalen Sechsuhrnachrichten. »L. Falk ist abwärts mobil. Er möchte nur leben und leben lassen in einem Kreis ohne radioaktive Müllkippen, ohne Serienmorde und ohne Vögel, die an aufgequollenem Reis ersticken.«
    »Wie heißen denn Sie?« erkundigt sich ein Reporter. »R. Morgan«, ruft Rain ihm zu, »wie J. P. Morgan. Falls Sie den nicht kennen, der hatte was mit Geld zu tun, und das ist was, womit ich auch gern zu tun hätte.«
    »Würden Sie bitte mal herschauen, Mr. Falk.«
    »Könnten Sie bitte zu der amerikanischen Flagge am Gerichtsgebäude hinaufsehen, Mr. Falk?«
    »Heben Sie bitte noch mal seinen Arm hoch, Miss.«
    »Wie denken Sie über die Legalisierung von Drogen?«
    »Über den Schutz der Ozonschicht?«
    »Über den Verbrauch fossiler Brennstoffe.«
    »Wie stehen Sie zur Abtreibung?«
    »Die Frage hat er vorhin schon nicht beantwortet«, bemerkt eine bekannte Moderatorin.
    »Was halten Sie von der kostenlosen Verteilung von Kondomen an Highschools?«
    »Ich bin zu sehr beschäftigt mit der Suche nach reiner, unverfälschter.« setzt Lemuel an.
    »Sind Sie für die Abschaffung des Wahlmännergremiums?«
    »Ich bin für Bildung und.« setzt Lemuel an.
    »Danke für das Interview, Mr. Falk«, ruft ein Journalist von der Straße herauf.
    »Ihr seid.« will Lemuel antworten, aber die Journalisten stürmen bereits davon, um den Redaktionsschluß nicht zu verpassen.
    ». Weichkäse, alle miteinander« , vollendet Lemuel leise den Satz.
     

 
    ZWEITER TEIL
    ECNALUBMA

1. KAPITEL
    Ein Wispern, das von etwas anderem als dem Winter kündet, dringt an Lemuels Ohr: Ein Lüftchen, das über die nicht mehr gefrorene Erde streicht, Wasser, das durch die nicht mehr mit Eis verstopfte Kehle eines Baches schießt, das Läuten des Glockenspiels, das durch die nicht mehr in der Nase brennende Luft hallt. Die Bestätigung für das herannahende Winterende findet Lemuel im Zeiger an Rains Schweizer Uhr, der die Mondphase anzeigt und verrät, daß die Jahreszeit sich dem F des Frühlings zuneigt.
    In einem nostalgischen Wachtraum sieht er sich am Z von Zufälligkeit lehnen.
    Mittlerweile so etwas wie eine Berühmtheit, hält es Lemuel nach der Verhandlung wegen Unbefugten Betretens noch volle drei Wochen in der Wohnung über dem Rebbe aus, bevor er seinen riesigen Pappkoffer, seinen Tornister von der Roten Armee und seine Plastiktüte aus dem Dutyfree Shop packt und alles in Rains Wohnung verfrachtet. Die offizielle Erklärung für diesen Schauplatzwechsel ist, daß er sich vor den Fernsehreportern retten muß, die das Haus des Rebbe Tag und Nacht belagern und im Freien Scheinwerfer aufbauen, in der Hoffnung, daß er doch einmal das Fenster einen Spaltbreit öffnen und ihnen

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