Der Gastprofessor
eisenbeschlagenen Schuhen zerlegen einen Schrank …
Rain rüttelt ihn wach. »Du willst doch wohl nicht auf mir übernachten?«
»Ich hab mich nur ein bißchen ausgeruht.«
»Wo war ich? Ach ja. Wenn Menschen im Krematorium verbrannt werden, ja?, dann zersetzen sich die Zahnplomben und tragen dazu bei, die Ozonschicht zu zerstören, die uns vor der Sonne schützt. Der hochtrabende Name dafür ist Treibhauseffekt.« Rain dreht den Kopf und sieht, daß Lemuel amüsiert lächelt. »Also, ich versteh ja nicht, wie du über so etwas Ernstes wie das Ende der Welt grinsen kannst. Ich hab gelesen, daß es in zehn Jahren kein Ozon mehr geben wird, und das heißt, auch keinen Winter. Die Polkappen schmelzen jetzt schon ab. Wenn das so weitergeht, werden eines Tages sämtliche Küstenstädte der Welt überflutet sein.«
»Wieso weißt du so viel über den Treibhauseffekt?«
»Mein Exmann, der Vogelmörder, hat in einem Treibhaus Marihuana angebaut. Wenn du einen finanziellen Ratschlag gratis haben willst, L. Falk – leg dein Geld in Firmen an, die Ruderboote, Kanus, aufblasbare Flöße oder so was herstellen. Ich hab früher in Atlantic City gelebt, aber weil ich nicht schwimmen kann, bin ich landeinwärts nach Backwater gezogen.«
Auf dem Heimweg hält Rain vor dem E-Z Mart und klaut vier Dosen geflte fisch. An der Kasse diskutiert sie lange mit Dwayne und Shirley, die ihre besten Freunde in Backwater sind. Dwayne meint, der grundlegende Unterschied in der Welt sei der zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen und demgemäß zwischen den überwiegend weißen, industrialisierten Ländern auf der Nordhalbkugel und den überwiegend farbigen Agrarländern auf der Südhalbkugel. Shirley behauptet, Dwayne habe sich nie von seinem Harvard-Studium erholt. Die Welt sei, wie jeder Dummkopf sehen müsse, außerdem aufgeteilt in Männer und Frauen. Rain bringt alle zum Lachen, indem sie dagegensetzt, in Wirklichkeit sei die Welt aufgeteilt in das anale und das orale Lager.
»Jeder, der was anderes denkt, lebt hinterm Mond«, sagt sie.
»Und zu welcher Fakultät gehörst du, Babe?« erkundigt sich Dwayne mit einem tückischen Grinsen. »Anal oder Oral?«
»Einmal darfst du raten«, entgegnet Rain.
Spontan lädt Rain die beiden zum Abendessen ein. Shirley, die heftig Kaugummi kaut, während sie Lemuel beäugt, der auf dem Parkplatz auf der Harley sitzt, fragt: »Kommt dein russischer Freund auch mit?«
»Man sieht deinen Hammer, Bäbe«, witzelt Dwayne.
Shirley wird richtig rot. »Hammer kriegen doch nur Jungs.«
»Der Plural von Hammer«, klärt Dwayne sie mit einem lüsternen Lächeln auf, »ist Hämmer.«
»Da sieht man’s wieder mal«, sagte Shirley zu Rain. »Bei der ersten Gelegenheit macht er seinen Hosenstall auf und läßt seine Harvard-Bildung raushängen.«
»Rain hat mir gesagt, ihr beiden seid fest verbandelt«, sagt Lemuel, während sie die Klappstühle an den Küchentisch ziehen.
»Ja, wir sind schon lange zusammen«, sagte Dwayne. »Ist doch so, oder, Babe?«
Rain, die in einer Schublade nach einem Dosenöffner kramt, lächelt Dwayne zu. »Ich hab in meinem ersten Studienjahr im Mart als Kassiererin gearbeitet«, erklärt sie Lemuel. »Dwayne hat mir unter die Arme gegriffen, finanziell, wie ich die Idee hatte, den Tender zu eröffnen und Haare zu schneiden.«
»Und mit Drogen zu handeln«, ergänzt Shirley boshaft. »Man muß sehen, wo man bleibt«, sagt Rain. »Dwayne hat mich damals gerettet – er hat den Pachtvertrag mitunterschrieben und mir das Geld für den Friseurstuhl vorgestreckt, den Shirley bei einem Trödler in Rochester entdeckt hatte.«
Mayday, die auf ihrer Decke vor sich hinträumt, zuckt im Schlaf.
»Sie jagt Schmetterlinge«, erklärt Rain. Lemuel sagt verträumt: »Ich auch, ich jage im Schlaf auch kleine geflügelte Kreaturen. Neben reinen, unverfälschten Regenbogen.«
Shirley schiebt die Dosen mit gefilte fisch über den Tisch hinweg Lemuel hin. »Ich wette, Sie haben gedacht, sie hat das Zeug echt im Mart geklaut«, sagt sie zu ihm. »Dwayne hat ein weiches Herz – er läßt alle seine Freunde klauen.«
Lemuel erwidert: »Auch ein weiches Herz kann man auf dem Ärmel tragen.«
Shirley kommt nicht mit. »Was kann man wo tragen?« Lemuel wendet sich an Dwayne. »Sie haben also die ganze Zeit gewußt, daß Rain in Ihrem Supermarkt klaut?«
»Das ist mir egal«, sagte Dwayne. »Ich verkaufe alles so teuer, daß die Verluste durch Ladendiebstähle wettgemacht
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