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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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bezweifelten, dass die Bayern sich an die Vereinbarungen halten würden. Ein Salzburger Obrist hatte die Verhandlungen für die Papisten geführt, ein Herr von Mortaigne. Nicht zum ersten Mal war dieser Edelmann mit einer Übergabeforderung Tillys vor den Mauern der Festung Dilsberg erschienen. Hannes hatte Schmid über den Salzburger reden hören. Einen Ehrenmann hatte der Obrist ihn genannt, und man könne sich auf sein Wort verlassen.
    Man würde sehen.
    Die Spitze der abziehenden Garnison ritt bereits an den ersten Häusern des Städtchens vorbei. Reiter des bayrischen Heeres säumten dort die Straße; Hannes sah Standarten im Wind wehen. Einer der eigenen Offiziere vorn an der Spitze hob die Rechte, und die Kolonne hielt an. Hufschlag, Schritte und das Rattern der Wagenräder verstummten. Sieben Reiter löste sich aus den Reihen der Bayrischen. An der Standarte, dem glänzenden Harnisch, dem eleganten Reitermantel und dem großen roten Federbusch auf der Sturmhaube erkannte Hannes den Salzburger. Der kurpfälzische Obrist Schmid, erheblich bescheidener gekleidet, ritt ihm entgegen. Sein Feldprediger, sein Cornet und zwei Rittmeister mit den Gefangenen begleiteten ihn.
    Man begrüßte einander, sprach ein paar Worte, deutete da hin,deuteten hier hin und zuletzt auf die beiden gefangenen Offiziere. Die lenkten ihre Pferde zum Obristen Mortaigne. Hannes konnte sehen, wie sie Bericht erstatteten. Es ging wohl um die Bestätigung, dass alle Gefangenen unversehrt und frei im Innenhof des Schlosses warteten. Danach übergab Schmid die Schlüssel und man reichte sich die Hände. Das war es schon. Der Salzburger und seine Eskorte lenkten ihre Pferde an den Straßenrand, Bartholomäus Schmid winkte seinen Hauptleuten, der Feldwebel hob die Rechte, und weiter ging es. Die Wagen rollten an. Hannes glaubte, das Aufatmen zu hören, das durch die Kolonne der abziehenden Garnison ging. Die beiden Dragoner vor ihm riefen einander ihre Einschätzung der Lage zu. Beide gaben sich zuversichtlich. Auch rechts und links von Hannes wurde nun getuschelt. Weiter vorn nahmen die ersten Musketiere schon die Kugeln aus dem Mund und löschten ihre Lunten.
    Schließlich erreichte auch die Nachhut das Städtchen und die Reihen des Feindes. Hannes sah in verschlossene Männergesichter. In viele hatten sich die Spuren von vier Jahren Krieg bereits tief eingegraben: Bitterkeit, Härte, Müdigkeit, Leere. Nur auf wenigen spiegelte sich Verachtung oder gar Triumph. Exotische Gestalten saßen auf Pferden vor den Fassaden von Dilsberg: falkengesichtige Kroaten in schmutzigen roten Mänteln; vollbärtige Bayern mit kantigen Schädeln in zerbeulten Brustharnischen; struppige Kosakenreiter mit krummen Säbeln; ungarische Kürassiere mit Umhängen aus Bärenfell über ihren Kettenhemden; polnische Reiteroffiziere in pelzverbrämten Übermänteln. Hannes entdeckte sogar einige Bayern und Österreicher, die reich bestickte Frauenmäntel trugen, und zwei sah er, unter deren Harnisch und Bandalier Talare reformierter Pfarrer hervorlugten. Zuletzt fiel ihm aus irgendeinem Grund das lange, von einem Nasenschutz geteilte Gesicht eines hohlwangigen Reiters auf. Vielleicht wegen der tiefen Falten zwischen Nasenflügel und Mundwinkel, vielleicht wegen des Flaumbarts, der besser zu einem jüngeren Gesicht gepasst hätte,vielleicht auch wegen des großen Adamsapfels unter der gelblichen Haut des dünnen Halses.
    Mit der Nachhut ritt Hannes an dem Reiter und seiner Rotte vorbei, und während die anderen Gesichter verblassten, wollte ihm dieses nicht aus dem Sinn. Hinter ihm wurde nun Hufschlag laut – die Bayern ritten hinauf zum aufgegebenen Schloss. Hannes drehte sich noch einmal um – nicht, um die Sieger zum Dilsberg hinaufpreschen zu sehen, sondern um noch einen Blick auf den Hohlwangigen mit dem großen Adamsapfel zu werfen. Ein Cornet in dunkelblauem Mantel, dürr und recht groß. Ein blau-roter Federbusch wehte über seiner ungarischen Sturmhaube, darüber eine blaue Standarte mit weißem Saum – und dann durchzuckte es Hannes kalt und heiß: Auf dem blauen Untergrund der Fahne glänzte ein goldenes Hirschgeweih.
    Er wandte sich ab, war wie betäubt. Die dünne Wand zwischen damals und jetzt riss jäh ein: Plötzlich ritt er nicht mehr durch die Hauptstraße des Städtchens Dilsberg, sondern durch einen Novemberwald. Er sah keine Fassaden, Pferde und harte Männergesichter mehr, sondern kahle Weinstöcke und brennende Bauernhäuser hinter Schneetreiben.

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