Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Unterkoflers aus der Stadt. Rheinaufwärts sollte es gehen, zuerst nach Bonn, später nach Koblenz und Trier. Und danach vielleicht in die Kurpfalz hinein, bis zur neuen Festung Mannheim, oder noch weiter, über den Rhein und in die viel gepriesene Residenzstadt Heidelberg. Man würde sehen.
David lenkte das letzte Gespann. Mit finsterer Miene starrte er auf die Pferderücken. Wegen des Stadtverweises war die Gräfin mit einer Peitsche auf ihn losgegangen, und David hatte zum ersten Mal zurückgeschlagen.
Auch die Begegnung mit dem Prinzipal Greenley wollte ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er haderte mit sich selbst, weil er den Engländer nicht noch am selben Abend auf dem Alten Markt gesucht hatte, oder wenigstens am Morgen vor dem Aufbruch. Nun war es zu spät.
3
A m Tag, als Hannes ging, kam der Krieg.
Nicht mit Waffengeklirr, Hufschlag, Getrommel oder Kampfgeschrei kam er nach Handschuhsheim zu Susanna, sondern mit Worten.
Namen fremder Fürsten und Feldherren fielen auf einmal in der Werkstatt, bei Tisch und manchmal auch in der Vituskirche von der Kanzel. Namen eingenommener Städte in Österreich und Böhmen, geplündert und gebrandschatzt. Von Gräueltaten tuschelten die Mutter und die Großmutter; von einem »gewagten Weg« des jungen Kurfürsten, der Böhmens Königskrone angenommen hatte, sprachen der Vater, die Gesellen und mancher Kunde; auch vom Zorn des neuen Kaisers war die Rede und von unerklärlichen Himmelserscheinungen, die nichts Gutes bedeuten konnten.
Worte, die Susanna verwirrten und die in ihrem Elternhaus nicht mehr verstummen sollten, bis der Krieg dann auch mit Waffengeklirr, Hufschlag, Getrommel und Kampfgeschrei an die Bergstraße und nach Handschuhsheim kam.
Hannes ging an einem kalten Dezembertag fort, Sankt Nikolaus war längst vorüber. Noch früher als in den eisigen Wintern der Vorjahre würden Neckar und Rhein zufrieren, hatte die Großmutter prophezeit, als sie gegen Ende der Nacht gemeinsam das Feuer im Küchenherd und im Werkstattofen schürten. Seitdem saß Susanna an einem der Fenstertische der Werkstatt und beugte sich mit blauem Garn und feiner Sticknadel über einen Spannrahmen mit nachtblauem Leinenstoff.
Sie hatte dunkelblaue Augen und kräftige, sehnige Hände. Rote Filzstulpen bedeckten ihre Handgelenke bis hinauf zu den Knöcheln ihrer schmalen Finger. Ein schwarzer Wollmantel verhüllte an jenem Nachmittag ihre drahtige, nicht eben kleine Gestalt und ein wollenes Tuch ihren Kopf. Dunkle Locken quollen da und dort zwischen Mantelkragen und Tuchsaum hervor.
Draußen fiel schon wieder Schnee. Susanna hob den Blick und sah die Flocken schweben. Ein geliebtes Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf: Hannes. Am Abend zuvor war er nach Handschuhsheim hinabgekommen und war beim Vater gewesen, hatte ihm gesagt, dass er sie heiraten wollte. Sie oder keine. Er hatte ja jetzt ein Handwerk gelernt und konnte bald eine Familie ernähren.
Auf welche Weise hatte er das vorgetragen? Demütig und höflich? Oder trotzig und einsilbig, wie es viel zu oft seine Art war? Susanna wusste es nicht. Auch nicht, was der Vater geantwortet hatte.
Eigensinniger Hannes. Sie legte die Sticknadel weg und nahm die andere mit dem roten Wollgarn auf. Geliebter Hannes – wann kommst du? Wann erfahre ich, wie unsere Zukunft aussieht? Wieder beugte sie sich über den Spannrahmen.
Der Stoff war für ein Festkleid bestimmt. Ein Magister der Theologie hatte es für seine Frau in Auftrag gegeben und für sich selbst einen Talar. Der Kurfürst hatte ihn als Professor an die Universität von Heidelberg berufen, und zu Beginn des neuen Jahres würde man ihn feierlich einführen. Die Kurfüstenmutter würde anwesend sein sowie der Pfalzgraf Johann von Zweibrücken, der für den Kurfürsten die Amtsgeschäfte führte, seit der samt Hofstaat nach Böhmen zur Krönungsfeier aufgebrochen war.
Gemeinsam hatten Mutter und Tochter den Brustteil des Kleides bereits zur Hälfte mit Blumenornamenten in Blau und Rot verziert, die andere Hälfte durfte Susanna ganz allein besticken. An Flinkheit konnte sie es noch nicht mit ihrer Mutter aufnehmen; an Kunstfertigkeit jedoch, an Gespür für Farben und Formen hatte sie die Meisterin bereits eingeholt.
Die Mutter saß am Zuschneidetisch. Gemeinsam mit der Tante, einer unverheirateten Schwester des Vaters, arbeitete sie am Talar des Magisters. Wenigstens einmal in jeder Stunde stand sie auf, trat hinter Susanna und sah ihr über die Schulter. Jedes Mal brachte
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