Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
er sich hinter die halb offene Plane verkrochen hatte. »Der Große soll mir meine Taschenuhr zurückgeben.« Er griff in seinen Rock und zog ein Brummeisen heraus. »Dafür gebe ich ihm das hier.«
David starrte das abgegriffene Instrument an. Schließlich nickte er hastig, nahm es dem Engländer ab und stelzte zum Zeugwagen. Von der Vorderseite des Bühnenwagens her hörte er Stephan, wie er einen Zahnkranken aufforderte, den Mund noch weiter zu öffnen.
Rübelrap hockte stocksteif neben der großen Kostümkiste. Seine sonst so müden und traurigen Augen stierten angsterfüllt und hellwach. Am Pranger gestäupt zu werden war das Mindeste, was einem Taschendieb drohte.
»Deine Maultrommel«, sagte David mit belegter Stimme. Rübelrap nahm sein Instrument an sich und reichte David eine goldene Taschenuhr, die bereits in seinen kräftigen Fingern baumelte.
»Ihr müsst sie draußen vor der Bühne verloren haben.« David sprach jetzt Englisch und zwang sich zu einer halb erstaunten, halb lächelnden Miene. »Ein Glück, dass unser Bauchredner sie gefunden hat, bevor irgendjemand …«
»Ja, ein Glück.« Der Engländer versenkte die Uhr in seiner Rocktasche. »Richte ihm meine Grüße aus und versichere ihn meiner großen Dankbarkeit.« Er schmunzelte. »Und meiner vorzüglichen Bewunderung.«
Er musterte David von den Schuhspitzen bis zur Hutfeder, und das nicht nur einmal. Vorn auf der Bühne schrie jetzt jemand wie unter großen Qualen – David hörte das Knirschen des herausbrechenden Zahns, und anders als sonst ging es ihm heute durch und durch.
»Ich und meine Komödianten spielen ab morgen drei Tage lang auf dem Alten-Markt«, sagte der Engländer schließlich. »Danach ziehen wir weiter über Frankfurt, Heidelberg und Nürnberg nachPrag. Frage nach dem Wandertheater von Prinzipal Christopher Greenley, falls Hans Supps Wams dir zu eng ist und du noch etwas zu lernen gedenkst.« Sprach’s, drehte sich um und bog hinter die Schmalseite der Bühnenwagen ab.
David schlich hinterher und sah ihm nach, bis er auf der anderen Seite der Warteschlange vor der Bühne den Hinterhof verließ.
»Hans Supp« – so nannte man den Lustigmacher anderenorts im Reich. Noch nie hatte David darüber nachgedacht, ob dessen Kostüm ihm zu eng wurde, doch wo es etwas Neues zu lernen gab, war er schon von Kindesbeinen an immer ganz vorn mit dabei. Und am Abend, als der Wutanfall der Landgräfin ausgestanden war, beschloss er, gleich am nächsten Morgen auf den Alten Markt zu gehen und nach Prinzipal Greenley zu fragen, und danach, was es bei ihm zu lernen gab.
Es blieb beim Vorsatz. Am nächsten Morgen standen ein Ratsherr, ein Pater und vier Gerichtsdiener vor der Wagenburg. David sah sie vom Zeugwagen aus: Der Ratsherr blinzelte sehr streng aus seiner steifen Halskrause, und der Pater, ein Jesuit, blickte aus einem Gesicht wie aus Stein gemeißelt.
*
Um diese Zeit war der Kaiser Matthias schon fünf Monate unter der Erde und sein Bruder Ferdinand auf dem Weg nach Frankfurt, um dort die Kaiserkrone zu empfangen und fortan den Habsburgern das Reich zu regieren. Und in Heidelberg bereitete Friedrich, der Pfälzer Kurfürst, seine lange Reise nach Prag vor, wo ihn die lutherischen Stände von Böhmen zum König krönen wollten – anstelle des katholischen Ferdinands; dessen Gesandte hatten sie im Jahr zuvor aus dem Fenster der Prager Burg gestürzt.
Friedrich, Kurfürst der Pfalz und künftiger König von Böhmen, war sehr jung, von strammen Calvinisten umgeben und außerstande, sich vorzustellen, seine Reise könnte statt nach Prag zuruhmreichen Königswürden in ein Meer aus Blut und Tränen führen, in dem selbst einer wie er am Ende ersaufen musste.
*
In der größten deutschen Stadt des Heiligen Römischen Reiches indes, in Köln, verlangte der Ratsherr den »Meister der Gaukler« zu sprechen, wie er ihn nannte. Als Stephan dann vor ihm stand – schon im Kostüm des venezianischen Edelmannes –, teilte er ihm den neuesten Beschluss des ehrwürdigen Rates mit: Er und alle seine Artisten und Gaukler hätten die Stadt bis zum Abend zu verlassen – wegen »anstößiger und ärgerlicher Reden über seine Exzellenz, den Bischof von Münster im Speziellen und über den ehrbaren Orden der frommen Jesuiten im Allgemeinen«, wie er sich ausdrückte.
David blieb nicht einmal Zeit, sich von dem Kölner Mädchen zu verabschieden, dessen Herz er gewonnen hatte – noch am gleichen Nachmittag rollten die vier Wagen Stephan
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