Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
der Brüstung entlang und an dem böse blickenden Mathis vorbei wankte Maximilian von Herzenburg zum Turm. Er fragte Dinge, die ihm kaum bewusst wurden, als er sie mit schwerer Zunge aussprach, und an die er sich auch später nicht erinnerte. »Meinen Schimmel!«, rief er, als er aus der Wachstube auf die Straße stolperte. Er stieg auf, deutete auf die Fahne, wies den ältesten Corporal der Kompanie an, sie zu holen und mit ihm zu reiten. Unter dem Tor hindurch preschte er aus der halb zerstörten Stadt. Conrad und Simon, seine Burschen, hatten Mühe, ihm zu folgen.
Was kreiste ihm nicht alles durch Kopf und Brust, während er durch die Nacht am Neckar entlang zum Hauptlager ritt: Die Wut auf Mathis, dessen Rede von der angeblich wahnsinnigen Mutter, sein wüster Vater und natürlich die arme Zwillingsschwester. Seine geliebte Hildegard! So wild wie lange nicht mehr zerwühlte der Schmerz um sie ihm die Brust. Ein kräftiger Nachtwind trocknete die Tränen, die er nicht zurückhalten konnte, auf seinen Wangen.
Erst am Rand des Hauptlagers holte der Corporal mit der Fahne sie ein. Im Gewimmel der Zelte, Hütten und Wagen verlor der Rittmeister schnell die Orientierung. Er verfluchte sich für den vielen Wein und schickte den Corporal und Simon voran, um ihn zu Schneebergers Zelt zu führen.
Eine Menschentraube drängte sich vor dessen Eingang, Pferdejungen, Huren, ein paar leicht verletzte Soldaten. Sie machten ihm Platz, als sie ihn erkannten. Maximilian stieg ab, hielt sich kurz am Sattelknopf fest und atmete tief durch, bevor er sich umdrehte und durch die Menschengasse zum Zelt wankte.
Öllampen und Schneebergers große Kerzenlüster tauchten das Innere des Zeltes in helles Licht. Der Feldwebel lag in zerwühlten Decken. Ein Feldscher drückte ihm mit nassen, zu Bällchen geformten Stofffetzen die Augen zu.
Neben dem Leichnam und einer Schüssel voller blutigen Wassers kniete der Salzburger Wundarzt aus Mortaignes Regiment und reinigte seine Messer, Löffel und Scheren. Er hob den Blick, als von Herzenburg eintrat. »Ah, der Herr Rittmoasta …!« Er deutete auf den reglosen Bayern und hob gleichgültig die Achseln. »Hob i’s ned gsogt? Ihr miassds Enk an neichn Födwebel suachn.«
Maximilian ließ sich auf Schneebergers Sattel fallen, stützte sich auf seinen Degen und versuchte zu ordnen, was er sah und wasihm durch den Schädel wirbelte. Er betrachtete die Leiche, das half ihm, nach und nach zu sich zu kommen. Ein blutiges Tuchknäuel klemmte unter Schneebergers bärtigem Kinn, ein zweites unter seiner linken Achsel. »Wann?«, fragte er schließlich.
»Drei Stund weads ebba hea sei«, sagte der Wundarzt.
»Wo ist sein Mädchen?«, wollte der Rittmeister wissen.
»Die war es doch«, brummte der Feldscher. »Johanns Hure und ein Landsknecht. Die haben ihn totgemacht.« Er nahm einen Hut mit schwarzen Schwanenfedern vom Boden und hob ihn hoch. »Dabei trug er doch Passauer Zettel.«
»Seine Hure und ein Landsknecht?« Von Herzenburg versuchte zu verstehen.
»Woit de Freia hoid a bissai mehr, ois nua a hoibe Stund Vagniagn«, sagte der Wundarzt. »Woit er hoid des gonze Dirndl für si. So ko’s geh, nid?« Er packte seine Sachen und stand auf. »Hobe die Ehre, Herr Rittmoasta.«
»Freier?« Maximilian schüttelte den Kopf. »Der Johann ließ doch keinen an das Mädchen heran.« Er merkte nicht, dass der Salzburger neben ihm stand und ihm die offene Hand hinstreckte. Auch nicht, als der sich räusperte. Beleidigt huschte der Mann aus dem Zelt.
»Vielleicht eine alte Rechnung«, brummte der Feldscher. Er zog eine Decke über Schneebergers Leiche. »So was kommt gar nicht selten vor.«
»Eine alte Rechnung?«, murmelte der Rittmeister. Er dachte an das Mädchen und an jenen ersten Wintertag im vergangenen Jahr, als Schneeberger es an den Haaren aus seinem Elternhaus und in die Scheune gezerrt hatte. Und sein Obrist fiel ihm ein, von Bernstadt, wie er neben ihm oben auf dem Gaisberg stand und sagte: Man muss alles zurückzahlen im Leben.
Auf einmal schnürte die Angst ihm die Kehle zu.
8
E s ging laut zu auf dem Marktplatz vor dem Heilbronner Rathaus, zu laut für Susannas überreizte Sinne; Kopfschmerzen plagten sie. An die dreihundert Menschen hatten sich vor der Bühne aus Brettern und Holzböcken versammelt, und draußen, vor dem Sacktuchzaun, standen noch einmal zweihundert, viele auf Stühlen, Kisten und Wagen. Rübelrap beeilte sich, ein großes Fass vor den Eingang zu schieben, um ihn zu
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