Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Affe saß der Landgräfin auf der Schulter und direkt über Stephan; er bleckte die Zähne, äugte ein wenig unruhig in die Menge, und die Menge blickte erwartungsvoll auf ihn. Weil Marianne ihn am Schwanz zupfte, bleckte er die Zähne heftiger, und eine tiefe Stimme mit eidgenössischem Akzent sagte aus dem Nichts: »Hübsche Stadt, ja, ja, schöne Bäuche, hübsche Nasen, schöne Ärsche!« Die Leute brachen erneut in Gelächter aus, auch der in der großen Halskröse schmunzelte.
Susanna begriff, dass sie als Einzige hier nicht lachte, und der Wunsch wegzulaufen wurde übermächtig. Doch wohin? Vor dem Eingang drängten sie sich und nahmen einander abwechselnd auf die Schultern, um einen Blick über die Köpfe und auf die Bühne zu erhaschen. Kein Entrinnen möglich, sie musste durchhalten.
»Auch könne man viel lernen bei Euch in Heilbrronn«, erklärte Stephan vorn auf der Bühne. »So jedenfalls mein klugerr Affe.« Er wandte sich dem Tier auf der Schulter der Landgräfin zu. »Und was kann man lerrnen, Hochwürrden?«
»Wie man einem Winterkönig ein paar tausend Brotlaibe abschwatzt«, dröhnte wieder die Stimme mit eidgenössischem Akzent, und die Heilbronner klatschten und jubelten.
Im Haus ihres Großcousins hatte Susanna die Geschichte während des Winters mehr als nur einmal gehört: Nach der Schlacht bei Mingolsheim hatte im Frühling zuvor der ehemalige Kurfürst Friedrich für seine Soldaten hunderttausend Laib Brot von der Reichsstadt gefordert. Weil keine Stadt der Welt so viel Brot auf einmal backen konnte – und das von geplünderten und verbrannten Kornfeldern umgebene Heilbronn zweimal nicht –, verlegte sich der Rat aufs Verhandeln. Dies tat vor allem der Bürgermeister so geschickt, dass Friedrich sich am Ende mit wenigen tausend Broten zufriedengab.
Viele Heilbronner vor der Bühne wandten sich nun um und applaudierten dem Herrn mit der Halskrause. Der hob wieder abwehrend die Hände, deutete dabei eine Verneigung an, und Susanna begriff: Es war der Bürgermeister von Heilbronn selbst, der da so dicht bei ihr stand. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken, denn wer auch immer dem tapferen Mann jetzt zujubelte – und das taten praktisch alle –, konnte gar nicht anders, als auch sie anzuschauen.
Sie zog die Schultern hoch, senkte den Blick und bereute es, ihr Haar hochgesteckt zu haben, bereute es vor allem, das schöne nachtblaue Leinenkleid mit den Blumenornamenten angezogen zu haben. Zu beidem hatten die Landgräfin und die Zwergin sie gedrängt. So einen schönen Hals hast du , hatte Marianne gesagt, so eine schöne Gestalt – zeig dich!
Zu den anderen sprach die Landgräfin oft mit harter Stimme und kränkenden Worten, zu Susanna noch nie. Die anderen bedachten die Landgräfin oft mit zornigen Blicken oder verdrehten die Augen hinter ihrem Rücken; sogar ihr Mann, der Stephan. Susanna verstand nicht, warum. Sie störte sich weder an Mariannes polterndem Wesen noch an ihrer gestelzten und manchmal hochnäsigen Art; sie empfand ihr gegenüber nichts als Dankbarkeit und Zuneigung.
»Hallo!«, rief die eidgenössische Stimme, während der Affe auf Mariannes Schultern die Zähne bleckte. »Hier spielt die Musik! Euern Brotmann könnt ihr jeden Tag feiern und ganz umsonst, aber Eintritt habt ihr nur bezahlt, um uns Gaukler zu sehen!« Wieder Gelächter, und die Leute drehten sich zur Bühne um. Dort sprang nun die Zwergin mit einem Salto hinter dem Vorhang hervor, ihr folgten kläffend und jaulend der kleine Dachshund und der riesige schwarze Engländer. Stephan fuchtelte mit einem Degen und pfiff wie ein Nachtfink, und Marianne trug einen Holzreifen und eine Fackel auf die Bühne.
In einigen Dörfern der Umgebung hatten Stephans Gaukler ihre Künste schon gezeigt, doch es geschah zum ersten Mal, dass sie innerhalb der Stadtmauern auf die Bühne traten. Weil man aus den Dörfern nur Gutes hörte von dem kroatischen Zahnbrecher und seinen Gauklern, hatte schließlich auch der strenge Prediger der Kilianskirche seine Bedenken fahren gelassen, und endlich gestatteten Bürgermeister und Magistrat, dass die Gaukler ihre Bühne auf dem städtischen Marktplatz vor dem Rathaus aufbauten. Auch den Bürgern der freien Reichsstadt sollten sie vortanzen, Musik machen und Zähne brechen. Bedingung: nichts Unzüchtiges, den Tanzbären nur an der Kette und nicht mehr als vier Kreuzer Eintrittsgeld.
So viel durften sie selten nehmen, hatte die Landgräfin gesagt und Susanna dann in den Arm
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