Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
genommen und hinzugefügt: »Du bringst uns Glück.«
Der Magistrat war vollzählig erschienen, der Prediger mit seiner ganzen Familie und der Cousin des Vaters, der Kürschner, immerhin mit den meisten seiner vielen Kinder. Seit im letzten November der erste Schnee gefallen war, stand Stephans Wagen in seinem Hof, und die Gaukler selbst und ihre Tiere wohnten in seinem Stall und seiner Scheune.
Susannas Kopfschmerzen hatten schon auf dem Weg hierher nach Heilbronn angefangen, und die Bauchkrämpfe auch. Ohne das strenge Regiment der Landgräfin würde sie wohl gar nichts mehr essen und ohne eine der vielen Tinkturen, die Marianne in einem abschließbaren Kästchen mit sich führte, auch nicht mehr schlafen.
Auf der Bühne hielten der Affe und Stephan den Holzreifen, der inzwischen brannte. Der Englische Hund sprang darüber hinweg, der Dachshund mitten durch den Flammenring. Die Leute klatschten, doch an Susanna glitt es vorüber wie ein Tagtraum, der einem kaum bewusst wird.
Später flatterten der Uhu und der Milan über die Bühne, und die an den Händen gelähmte Lauretta warf den Vögeln mit den Fußzehen ein paar Fleischbrocken zu, die sie im Fluge fingen. Aus irgendeinem Grund bestaunten die Leute das lautstark und mit offenen Mündern. Stephan sagte noch einige Dinge über Kaiser und Papst, die Susanna langweilten, die aber in den Ohren der anderen wohl lustig klangen, denn die Heilbronner lachten und klatschten und hatten ihren Spaß.
Drei Mal war Susanna seit der Schneeschmelze schon mit den Gauklern durch die Dörfer in der Umgebung Heilbronns gezogen, hatte ihre Sprüche und Lieder gehört, ihre Tänze und Kunststücke gesehen, und jedes Mal wunderte sie sich, wie viel Spaß die Zuschauer dabei hatten. An ihr war das Spektakel vorbeigegangen, als ginge es sie nichts an. Fremd war sie sich vorgekommen – unter den Gauklern, unter den Zuschauern, in ihrer eigenen Haut. Fremd kam sie sich auch jetzt vor.
»Jean Potage!«, rief Stephan plötzlich, und die Heilbronner klatschten, als hätte er einen guten alten Bekannten angekündigt. Erst schrie einer hinter dem Vorhang – sofort erkannte Susanna Davids Stimme –, dann tapste Bela, der Tanzbär, auf die Bühne und hielt die schmale Gestalt des jungen Gauklers umklammert wie seine Beute. Und Stephan brüllte wie in großer Angst: »Ein Bärr hat ihn erwischt! Ein Bärr will unserren arrmen Jean Potage frressen!«
Dieses Spiel nun war neu für Susanna, denn David hatte wochenlang mit einer Lungenentzündung hinter dem Ofen in der Stube des Großcousins gelegen und nicht mit den Gauklern durch die Dörfer fahren können. Seit drei Tagen erst war er wieder richtig gesund, und nun tat er, als wollte Bela ihn fressen und jammerte und zeterte und bearbeitete den Tanzbär mit den Fäusten, während der ihn an seine Brust drückte und fast bis zum Rand der Bühne trug.
Plötzlich schrien alle aus Angst um das Leben des jungen Gauklers: Stephan, der Affe, Lauretta, die Heilbronner vor der Bühne, die Vögel auf der Bühne und der Gaukler selbst; die Hunde tobten kläffend um den Bären und seine schreiende Mahlzeit herum, und die Zwergin schleuderte Löffel auf die vermeintliche Bestie. In Susannas Kopf stach der Schmerz – sie hielt sich die Ohren zu und schielte zum Ausgang. Doch auch dort, hinter dem großen Fass, lärmten die Leute und schienen ganz außer sich.
Auf einmal ebbte das Geschrei ab. Die Hunde kläfften nicht mehr, keine weiteren Löffel klirrten auf die Bühnenbretter. Susanna nahm die Hände von den Ohren und blickte nach vorn. Dort drehte David den Kopf zu den Heilbronnern hin und tat, als würde er sie gerade erst bemerken. »Was glotzt ihr?«, schimpfte er. »Noch nie einen Bärenjäger gesehen? Dann herzlichen Glückwunsch – Ihr guckt gerade dem mutigsten Bärenjäger zwischen Neckar und Nil bei seiner gefährlichen Arbeit zu!« Und dann redete und prahlte er und tat, als wäre er der Jäger und der Bär ihmin die Falle gegangen, als wäre Bela die gefangene Beute und nicht er.
Das Publikum zeigte sich entzückt, grölte und johlte, und als auch Susanna begriff, platzte es aus ihr heraus – sie lachte.
Sie lachte laut und merkte es erst, als ihr Blick dem des Bürgermeisters begegnete. Der schmunzelte. Vorn auf der Bühne zeterte David mit dem Bären, schimpfte ihn einen Hohlkopf, weil er die wahren Verhältnisse nicht durchschaue, erklärte ihm, wem er, der tapfere Jäger, bereits den Bärenschinken verkauft habe. »Und dein
Weitere Kostenlose Bücher