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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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versperren.
    Die Heilbronner hungerten nach Zerstreuung. Bis in den Winter hinein hatte die Pest ihre Reihen gelichtet, davor mussten sie sich vor umherstreifenden katholischen Landsknechten fürchten, und die sie vor ihnen beschützen sollten, die evangelischen Soldaten des Herzogs von Württemberg, machten ihnen bis zur Stunde das Leben schwer. Gaukler, die sie zum Lachen bringen wollten, kamen da gerade recht.
    Susanna saß auf einem Hocker neben dem Eingang und hinter einem zweiten, kleineren Fass, das ihr als Tischchen für die Geldschatulle diente. Viel zu eng war ihr zumute hinter den vielen Leuten, sie wäre gerne weggelaufen. Wie sollte man diesen Lärm aushalten, wenn man ständig Kopfweh hatte? Und warum mussten all die jungen Kerle sich wieder und wieder nach ihr umdrehen? Einige trugen Seitenwehre und Schützenhauben – württembergische Waffenknechte vermutlich. Sie machten ihr Angst.
    Die Landgräfin und der älteste Gaukler traten auf die Bühne. Susanna reckte den Hals, denn beide trugen Kleider, die sehr schön anzusehen waren. Die Leute klatschten, und Stephan brüllte Willkommensgrüße in allen Sprachen, die er kannte. Susanna hätte sich gern die Ohren zugehalten.
    Am Morgen hatte der Cousin des Vaters seiner großen Familieerklärt, dass Susanna in seinem Haus bleiben würde, wenigstens bis Kriegende. Das sei selbstverständlich in schweren Zeiten wie diesen, innerhalb der Verwandtschaft sowieso. In Heilbronn gebe es genug zu nähen und zu sticken, und erst einmal könne sie ja seiner Frau mit dem Haushalt und den vielen Kindern helfen. Die hatte dabeigesessen und geguckt, als hätte einer ihr Essig eingeflößt.
    Rübelrap ließ jetzt doch noch einen herein, einen Mann mit seltsam hohem und steifem Hut. Susanna sah gleich, dass er ein Ratsmitglied von Heilbronn sein musste. Er trug einen langen schwarzen Gehrock mit silbernen Knöpfen und eine dicke Halskröse, groß wie ein Wagenrad; sein langer, fransiger Ziegenbart lag darauf wie zum Trocknen ausgebreitete Schafswollsträhnen. Die Menge draußen hatte ihn willig und unter Zuruf ehrerbietiger Grüße vorbeigelassen. Sechs Kreuzer zählte er ihr auf den Tisch, zwei mehr, als der Eintritt kostete. Dabei nickte er Susanna freundlich zu.
    »Vielen Dank, gnädiger Herr«, sagte sie artig, »und eine vergnügliche Stunde wünsche ich Euch.« So hatte die Landgräfin es ihr eingeschärft. Nur ihretwegen saß sie ja hier, denn diese Frau tat ihr viel Gutes. Du musst unter Leute , hatte sie gesagt, du musst etwas tun ; vom Herumsitzen und Löcher-in-die-Luft-Starren wird keine Seele gesund ; nur ihretwegen hielt sie hier am Eingang zur Gauklerbühne durch.
    Schon seit der letzte Schnee geschmolzen und das letzte Eis auf dem Neckar getaut war, versuchte Susanna sich vorzustellen, sie würde hier wohnen, hier, hinter den Mauern Heilbronns. Es fiel ihr schwer. Das lag nicht allein an den katholischen Soldaten in der Umgebung, nicht nur an der drohenden Pest, nicht einmal an der eifersüchtigen Frau des Großcousins. Es lag an jenem allgegenwärtigen Gefühl der Fremdheit: Aus jedem Fenster sprang es sie an, aus jedem Gesicht; sogar aus ihrem eigenen, wenn sie sich im Spiegel sah. Im Spätherbst, auf dem Weg nach Heilbronn,hatte es sich in ihre Seele geschlichen; und wollte seitdem nicht mehr weichen.
    Rübelrap schaukelte zur Bühne. Einige Leute in den hinteren Reihen entdeckten den freundlichen Mann mit der großen Halskröse neben dem Eingang – sie verbeugten sich und begannen, eine Gasse zu bilden, damit der hohe Herr bis ganz nach vorn zur Bühne gehen konnte, doch das wollte der gar nicht. Er hob abwehrend die beringten Hände, bedankte sich mit einer Kopfbewegung und blieb bei Susanna und ihrem Fass stehen.
    Vorn auf der Bühne sagte die Landgräfin, dass der Herrgott die Heilbronner wohl sehr lieben müsse, weil er ihnen in Gestalt ihres Gatten den geschicktesten Dentisten unter dem Sternenzelt gesandt habe, der zudem noch beinahe schmerzfrei zu arbeiten verstehe. In den zaghaften Applaus hinein beteuerte Stephan Unterkofler, dass er es bitter bereue, nicht schon einmal eher hierhergekommen zu sein. »So schön, diese Stadt, so nett ihrre Menschen«, schmeichelte er, »und da muss errst mein Affe mirr sagen ›auf nach Heilbrronn‹, dass ich Euch und Eurre liebliche Stadt zu sehen bekomme.«
    »Auf nach Heilbrronn!«, tönte es von irgendwoher, und weil es für die Leute aussah, als hätte der Affe es gerufen, bogen sie sich vor Lachen. Der

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