Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Schädel und Knochen. Und wenn er etwas falsch verstanden hatte? Das wäre doch möglich. Vielleicht hatte alles ja eine ganz andere, eine ganz einfache Erklärung.
Bei den Frauen am Brunnen erkundigte er sich nach dem Weg zum Heilsbrunner Hof. Dann stieg er in den Sattel und ritt los. Er musste Susanna sehen, musste mit ihr sprechen. Ausgeschlossen, dass sie einen anderen Mann genommen hatte. Sie hatte ganz gewiss auf ihn gewartet! Was denn sonst?
Er hieb dem Rappen die Sporen in die Flanken, was er selten tat, und preschte in gestrecktem Galopp durch die Straßen und Gassen der großen Reichsstadt.
Ausgeschlossen, dass sie einen anderen Mann genommen hatte? Er musste daran denken, wie er in der alten Abtei Neuburg vergeblich auf Susanna gewartet hatte, vor drei Jahren, als Tillys Kriegsvolk sich Rhein und Neckar näherte. Und an die Wochen davor dachte er, wie sie gezögert hatte, bevor sie sich endlich mit ihm zur Flucht verabreden wollte. Und waren ihre Eltern nicht ganz und gar dagegen gewesen, dass sie ihn, den katholisch getauften Bauernsohn, zum Mann nahm?
All das ging ihm durch den Kopf, während er dem ehemaligen Klostergut entgegenpreschte. All das und noch mehr, und seine Gesichtszüge wurden hart, seine Augen schmal und seine Lippen ein Strich.
Vor dem Heilsbrunner Hof band er seinen Rappen an der Brüstung vor dem Hauptportal fest. Viele Kutschen standen dort und etliche Pferde. Er trat durch das offene Portal; niemand wollte Eintrittsgeld von ihm kassieren. Aus dem Innenhof tönten laute Stimmen, den Durchgang dorthin versperrten viele Männer und Frauen. Hannes trat hinter sie, fasste jeden Einzelnen ins Auge, ließ seinen Blick auch über die Gesichter im Innenhof wandern. Dort standen dutzende um eine Vertiefung herum, um eine Art Bühne. Susanna entdeckte er nicht unter ihnen. Auch nicht hinter den Brüstungen des Hauses auf der gegenüberliegenden Hofseite.
Ob die englischen Komödianten dort in der Vertiefung spielten, fragte er flüsternd. Eine Frau nickte, das Hauptstück gehe gerade zu Ende. Nach einer Pause würde dann das zweite, kürzere beginnen. Draußen schrie einer wie in Todesnot, sonst herrschte Totenstille im Hof und auf den Balkonen der anderen Hofseite.
Die Zuschauer auf den Balkonen im Haus über Hannes oder hinter den Brüstungen und Fenstern im langen Seitenbau lagen außerhalb seines Blickfeldes. Also suchte er einen Weg, um auf die andere Hofseite zu gelangen und von dort aus Susannas Gesicht in der Menge suchen zu können.
Er fand eine Tür, gelangte auf einen Gang und an die Rundfassade einer Kapelle. Eine Gartenmauer grenzte an sie, zu hoch, um über sie hinwegzuschauen. Hannes lief an ihr entlang, bis er eine Pforte fand. Kein Schloss verriegelte sie, also trat er ein. Und fand sich in einem Garten wieder.
An der gegenüberliegenden Mauer standen Tische und Stühle. Menschen saßen dort, betrachteten sich in Spiegeln, malten ihre Gesichter an, puderten oder frisierten sich oder halfen einander in ebenso elegante wie fremdartige Garderobe. Ein hagerer Mann stieg in ein Kleid, eine Frau stopfte ihm künstliche Brüste darunter und schnallte sie auf seinem Rücken fest. Hannes begriff: Komödianten, die sich auf ihren Auftritt vorbereiteten.
Etwas abseits von ihnen zupfte eine Frau am bunten Kostüm eines Mannes herum. Eine Frau in einem dunkelblauen Kleid und mit langen schwarzen Locken. Wie vertraut ihre Bewegungen waren, wie unverwechselbar ihre Anmut! Und als sie den Kopf ein wenig wandte, gab es für Hannes nicht mehr die Spur eines Zweifels: Susanna. Und auf den Mann passte Kristinas Beschreibung des jungen Gauklers.
Hannes ließ die Klinke der Pforte los, wollte über einen kleinen Acker und die Gemüsebeete hinweg zu seiner so lange ersehnten Geliebten laufen – doch plötzlich nahm der Mann in dem blau-gelben Kostüm sie in die Arme und zog sie an sich.
Sie ließ es geschehen.
Die Beine wurden Hannes schwer.
Susanna und der Gaukler küssten sich.
Hannes stand still. Ihm war, als wäre er gegen Fels gelaufen, als würde eine heiße Flamme in ihm auflodern und alles verzehren, was er dachte und fühlte.
*
»Ich schaffe es, ich werde Komödiant in ihrer Compagnie.« Ständig sagte David diese beiden Sätze. Als Susanna ihm in die Jacke seines Kostüms half, wiederholte er sie wieder: »Ich schaffe es, ich werde Komödiant in ihrer Compagnie.«
»Die Angst es nicht zu schaffen strömt dir aus jeder Pore.« Susanna zupfte Ärmel und Kragen zurecht. »Du
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