Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
viele Wein, den er trank, die Flüche, die er hin und wieder ausstieß, und die ganz und gar nicht gottesfürchtigen Reden, die er zu führen pflegte; und vor allem, dass er mit Aaron lebte wie mit einer Frau. Nein, ein frommer Mann schien er ihr ganz und gar nicht zu sein, und Welten trennten ihn von einem rechtschaffenen Handwerker, wie ihr Vater einer gewesen war.
Und dennoch bewunderte sie Christopher Greenley: Die Opfer, die er für seine Kunst auf sich nahm, die Leidenschaft, mit der er sich ihr hingab, und der strenge Wille zur Vollkommenheit, mitder er die Komödien und Tragödien immer wieder proben und verbessern ließ – all das flößte ihr größten Respekt ein. Nie zuvor in ihrem Leben war sie einem solchen Menschen begegnet.
Im Grunde ihres Herzens dankte sie Gott, mit David zu ihm und seinen Komödianten gehören zu dürfen, auch wenn sie dadurch ein weitaus beschwerlicheres Leben führen musste, als wie sie es in einem vom Krieg verschonten Handschuhsheim hätte führen können; und durch die Schwangerschaft wurde es ja von Tag zu Tag beschwerlicher. Doch sie hatte Menschen um sich, die sie achteten und ins Herz geschlossen hatten; sie konnte sticken und nähen und so selbst zum Unterhalt aller beitragen; und sie hatte einen Mann, der sie liebte und gut zu ihr war.
Und was ihr noch wichtiger erschien: Durch die vielen fremden Menschen, denen sie begegnete, durch die unbekannten Landschaften und Städte, die sie mit den Komödianten durchquerte, und vor allem durch die Komödien und Tragödien der Engländer lernte sie Facetten des Lebens kennen, von denen sie zu Hause in Handschuhsheim, an ihrem Sticktisch vor dem Fenster zur Straße, nicht einmal hätte träumen können – weil sie niemals davon erfahren hätte.
Was also wollte sie mehr?
»Ich gehe schlafen«, flüsterte sie und küsste David auf die Wange. Sie stand auf und ging zum Wagen. Die Katze sprang ihr vom Arm und huschte in die Dunkelheit des Hafengeländes. »Sei nur pünktlich zum Sonnenaufgang zurück!«, rief sie ihr hinterher. »Nicht, dass wir ohne dich in See stechen müssen.«
Im Wagen brannte Licht – Helena stillte schon wieder ihr Baby, und Otto Eichinger las in der Bibel. Susanna zog sich aus, wickelte sich in Bärenfell und Decke und zog eine der Öllampen zu sich. Sie schlug ihr Buch auf, blätterte ganz vorn darin herum. Eine Zeitlang überflog sie ihre Aufzeichnungen aus der Zeit vor der Eroberung Heidelbergs, dann las sie mit wundem Herzen Briefe, die sie damals an Hannes richtete und ihm niemals zu lesen gebenkonnte, und sie sah sich kopfschüttelnd die ungelenken Verse an, die sie in jenen Monaten verfasst hatte.
So viel Angst und so viel Hoffnung sprachen aus diesen vollgeschriebenen Seiten, und bald auf jeder zweiten begegnete ihr der liebe alte Konfirmandenspruch: »Gottes Wege sind vollkommen, er ist ein Schild allen, die ihm vertrauen!«
Wie anders sie gelebt hatte damals, wie anders gedacht. Hätte ihr jemand vorausgesagt, sie würde einmal mit Gauklern durchs Reich ziehen und danach mit englischen Komödianten sogar bis an die Ostsee, sie hätte ihn ausgelacht. Niemals hätte sie eine Susanna Almut mit einem solchen Leben für möglich gehalten, auch in den kühnsten Träumen nicht!
Sie setzte sich auf, spitzte ihren englischen Stift und hielt das Buch über ihrem dicken Bauch fest. Die Vergangenheit kann ich nicht mehr ändern , schrieb sie auf eine frische Seite, meine Gegenwart hat Gott mir zugeteilt, und sie ist um vieles reicher, als ich es in meinen dunkelsten Stunden zu hoffen gewagt habe. Und in meinem Bauch wächst die Zukunft. Sie wollte das Buch schon zuschlagen, da setzte sie noch einmal den Stift an und schrieb. Und morgen fahren David, ich und die Zukunft zum ersten Mal aufs Meer hinaus.
*
»Bin ich denn wirklich ein Vagabund?« Schwer vom Wein sprach der Prinzipal wie zu sich selbst. »Ich habe doch ein Haus in London, bin immer dorthin zurückgekehrt. Und werde es wieder tun – falls mich nicht vorher eine Lungenentzündung erwischt.« Er grinste. »Oder ein Seesturm.«
»Was tust du, wenn du in London bist?«, wollte David wissen. »Komödien und Tragödien spielen?« Nur er und Aaron saßen noch bei Greenley am verglimmenden Feuer.
»Manchmal.« Aaron antwortete für Greenley. »Meistens studieren wir die neusten Stücke, und was uns gefällt, übersetzen wirund kürzen es und schreiben es so um, dass die Deutschen Gefallen daran finden könnten.«
»Außerdem tue ich in London,
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