Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
verloren zwischen der Prinzessin von Bernstadt und dem Kurfürsten stand: »Sieh dir das Knäblein an, Georg. Vor zwölf Jahren warst du auch noch so klein.« Kopfschüttelnd und mit gespieltem Entsetzen betrachtete sie ihren Sohn. »Mein Gott, wie schnell die Zeit doch vergeht!« Der Halbwüchsige machte eine süßsaure Miene und äugte gleichgültig zu dem jauchzenden Knaben in den Armen seiner Mutter.
Man sah es dem Jungen nicht gleich an, doch er war die Hauptperson an diesem festlichen Abend: Die edle Gesellschaft im Schlosssaal feierte seinen dreizehnten Geburtstag. Johann Georg, der wie sein Vater hieß und ihm auch ähnlich sah, wofür Susanna ihn bedauerte, war der älteste Sohn des Fürstenpaares.
An diesem Abend gab es keine Komödie, an diesem Abend wurde ein Singspiel des Hofkapellmeisters Heinrich Schütz aufgeführt, das dieser extra zum Geburtstag des Kronprinzen geschrieben hatte.
Kein Komödiant, der darüber wirklich traurig sein wollte, auch Susanna nicht. Mitte Mai waren sie nach anstrengender Reise in Dresden angekommen, und seit Ende Mai hatten sie praktisch täglich eine andere Komödie oder Tragödie auf die Bühne des Schlosses gebracht, manchmal auch jeden zweiten Tag. Inzwischen schrieb man den 13. Juni, und noch eine ganze Woche lang hatten die Komödianten erst einmal Pause.
Die Fürstin setzte den Knaben wieder auf den Boden, alle lachten ihn an, und dem Kleinen gefiel es, unter den Erwachsenen Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein. Er tapste zu Maria von Bernstadt und begann an den vielfältigen Säumen ihrer teuren Kleider zu zupfen. Und wieder wohlwollendes Gelächter.
Das Lachen, mit dem die blonde Frau auf die Annäherungsversuche des Kleinen reagierte, kam Susanna allerdings ein wenig gezwungen vor. Nicht, dass es sie wirklich überraschte – die Edelfrau aus Schlesien war ihr noch nie als Verkörperung der Natürlichkeit erschienen. Doch jetzt, wo der strahlende, Kinderkauderwelsch plappernde Knabe sich an ihre Kleiderzipfel hängte, glaubte Susanna mehr als nur Unsicherheit und Zurückhaltung in ihrer Gestik und Mimik zu entdecken. Blitzte da nicht Widerwille hinter ihrer hübschen Maskerade auf? Nur einen Wimpernschlag lang, doch Susanna hatte hinsehen gelernt am Sticktisch in Handschuhsheim und auf den abgründigen Serpentinen ihres Lebensweges. Mochte Maria ihren Sohn nicht? Wie Greenley, Taylor und David durfte auch Susanna seit Neuestem die Prinzessin so nennen. Lehnte Maria den Kleinen gar ab?
Der Kleine riss nun gar zu heftig an Marias edlen Spitzensäumen, das Gelächter geriet jetzt merklich dünner, und David griff nach seinem Sohn und nahm ihn hoch. Der Kurfürst machte einen plumpen Scherz, der Prinzipal löste die plötzlich entstandene Peinlichkeit mit einer witzigen und leicht hingeworfenen Bemerkung wieder auf.
»Ich bewundere Euch, Prinzipal Greenley«, wandte die Fürstin sich an den Alten Komödianten. »Dass Ihr mit drei jungen Müttern und drei kleinen Kindern derart weite Wege auf Euch nehmt, um Eure schöne Kunst in die Welt zu tragen!« Sie deutete zur anderen Seite des Saals, wo Helena und Piet van Dam mit ihrem Töchterchen in einer Gruppe von Höflingen standen und plauderten.
»Danke, Durchlaucht.« Greenley deutete eine Verneigung an. »Doch jeder tut das, was er am besten kann, um zu leben, nicht wahr, Durchlaucht? Und ich habe nun einmal nichts anderes gelernt.« Die Lacher waren auf seiner Seite, und die Fürstin lachte am herzlichsten. »Außerdem sind es seit einer Woche nur noch zwei junge Mütter und zwei kleine Kinder – Mrs. Villacher undMrs. van Dam mit Fritzjohn und Julia. Mr. Rowland hat sich leider entschieden, seine Gattin nach Hause, nach London zu bringen. Er wird erst Anfang nächsten Monats wieder zu uns stoßen.«
Susanna wusste, wie sehr die Schwangerschaft, die schwere Geburt und die Stillzeit Charlys Frau erschöpft hatten. Sie wusste aber auch, dass sie längst wieder auf dem Weg der Besserung gewesen war. Schlimme Nachrichten aus dem nordwestlichen Grenzgebiet Kursachsens hatten den Ausschlag für Charly Rowlands Entscheidung gegeben: Kaiserliche Landsknechte fielen dort seit Monaten immer wieder über reisende Kaufleute, Bauernhöfe und ganze Dörfer her. Von unvorstellbaren Gräueln hatte Susanna die Leute erzählen gehört. Trotz seiner hündischen Kaisertreue hatte der Kurfürst eigene Truppen in die Gegend schicken müssen.
Hier im Festsaal sprach niemand über diese Dinge; weit entfernt schien der Krieg
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