Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
über viele Köpfe und Schultern hinweg in die Wagenburg hinein zur Gauklerbühne.
Die bestand aus einigen zusammengeschobenen Wagen. Auf denen hörten sie gerade auf zu tanzen und zu fiedeln. Die Leute vor der Bühne klatschten Beifall, die Gaukler verbeugten sich. Ein älteres Paar sah auf fremdartige Weise elegant aus, wie eineralten Geschichte entsprungen; der Mann, der das Brummeisen schlug, war ungewöhnlich groß und breit; und eine Frau blickte auf die Menge herab, die so klein war, dass sie Susanna kaum bis zur Hüfte reichen konnte. Dennoch war sie kein Kind mehr. Der junge Mann mit der Violine trug grüne und rote Kleider und einen Hut mit ausgebeulten Hörnern und Hahnenfedern. Eine Menge Tiere flatterten und sprangen um die Gaukler herum: ein Affe, ein Bär, zwei Hunde, ein Uhu, ein Greif und ein Rabe.
Aus großen Augen und mit offenem Mund bestaunte Susanna die bunte Schar auf der Bühne. Auch so also konnte man leben? Mit Musizieren und Tanzen und in Fantasiekleidern? Mit Kunststücken und in Gesellschaft von gezähmten Tieren? Und immer auf Wagen unterwegs? Eine Welt, die sie nicht kannte, tat sich ihr dort auf der Bühne auf und berührte sie seltsam. Und die Leute davor klatschten und stießen Jubellaute aus.
»Warum wartest du nicht auf mich?« Die Hand der Mutter griff plötzlich nach Susannas Schulter. »Begleiten sollst du mich! Und doch lässt du mich im Stich?«
Ihre herrische Stimme machte den Friedrich aufmerksam, sodass er sich umdrehte. Ein Lachen flog über sein Gesicht, als er Susanna erkannte. Doch kaum sah er ihre Mutter, erlosch es gleich wieder.
»Herrauf zu mirr, werr ein neues Leben beginnen mag!«, rief der wie ein Edelmann gekleidete Gaukler von der Bühne herab in die Menge. Der Jüngere mit dem schrägen Hut hatte seine Violine weggelegt, stellte nun einen Tisch auf die Bühne, und die Edeldame legte allerhand Werkzeug darauf – Zangen, Haken und dergleichen. »Werr auferrstehen will zu schmerzfrreiem Dasein ohne eiterrnden Zahn, herrauf zu Stephan Unterkofler, dem geschicktesten Dentisten zwischen Main und Tiber!«
Der hünenhafte Gaukler tauchte plötzlich nicht weit von Susanna auf und schob einen der Holzständer mit dem Sacktuch zur Seite, sodass der Eingang breiter wurde und die Menge vorder Bühne sich zerstreuen und auf den Marktplatz hinauskonnte. Die Mutter aber hielt ihre Hand fest und zog sie mit sich zur Warteschlange derer, die anstanden, um sich ebenfalls einen Zahn ziehen zu lassen.
Susanna sah zurück zu Friedrich. Eine Gruppe von elegant gekleideten Männern schob sich zwischen sie und ihn. Offiziere der Stadtgarnison und Angehörige des kurfürstlichen Hofes, denn einer sprach französisch. Ein zweiter, ganz in schwarzen Samt gehüllt und mit silbrig glänzendem Degenkorb, übersetzte für einen englischen Offizier, der offenbar des Deutschen, aber nicht des Französischen mächtig war.
»Die Spanier werden es nicht wagen, Frankenthal oder gar Mannheim anzugreifen«, erklärte der Mann in Schwarz. Er trug einen großen schwarzen Hut mit blutrotem Federbusch und eine schneeweiße Halskröse, so flach und weich, wie Susanna noch keine gesehen hatte. »Und Graf Mansfeld wird den Tilly mächtig aufs Maul schlagen«, übersetzte er. »Warum also Heidelberg verlassen?«
Sein Begleiter redete munter auf Französisch drauflos, doch statt zu übersetzen, blieb der andere nun stehen und griff in die Tasche seines edlen Samtrocks. »Entschuldigt einen Augenblick, Ihr Herren«, sagte er und wandte sich nach einem kleinen, dicklichen, ganz in Rot gekleideten Mann um, seinem Diener, vermutete Susanna. »Hinauf zum Krabat mit Ihm, Franz! Lasse Er sich endlich seinen Zahn brechen, damit Er mir nicht ständig die Ohren vollheult.«
Selbst der Hut des stämmigen Dieners war rot – genau wie seine arg geschwollene Backe. Er trug eine Muskete auf dem Rücken, so lang wie er selbst, hatte fransiges helles Bart- und Haupthaar. Der wehleidige Ausdruck seines runden, in eine kleine, steife Halskröse gezwängten Knabengesichts erregte Susannas Mitleid.
»Warte, ich will Ihm die drei Kreuzer geben.« Der Höfling tastete seinen Rock, seine Hosen und Weste ab. »Nanu?« Ein Ausdruck der Ratlosigkeit trat in seine Züge. »Was für ein Jammer, ich muss meinen Dukatensäckel im Schloss vergessen haben …«
Susanna entzog der Mutter die Hand mit Gewalt, drängte sich an den Höflingen und dem englischen Offizier vorbei zu Friedrich. »Wie geht es Hannes?«, fragte sie ihn
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