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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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links des Turms der Heilig-Geist-Kirche, konnte Susanna jetzt deutlich das hohe Dach der Zehntscheuer erkennen.
    Am anderen Neckarufer glitt derweil die wuchtige Fassade des kurfürstlichen Zeughauses vorüber. Am Schwenkarm eines Kranes schwebten Säcke von Bord des Frachtschiffes. »Dort lagern sie schon das erste Korn des Jahres ein.« Der Geselle versuchte esdoch noch einmal und deutete hinüber. »Und dort hinten trocknen sie die Stoffe, aus denen wir im Herbst unseren Kunden die Kleider schneidern werden.«
    Susanna hütete sich, Neugier zu zeigen; sie nickte nur flüchtig und blieb stumm. Dennoch sah sie hinüber zu den schwarzen und farbigen Tuchbahnen auf den Neckarwiesen zwischen Pfistermühle und Brückenturm. Auf großen Gestellen trockneten die Tuchfärber dort die von den Tuchmachern gewebten Stoffe. Und der Geselle hatte recht: Auch das Tuch der beiden Onkel trocknete dort. Zum Ende des Sommers würde der Vater einen Teil davon nach Handschuhsheim in seine Werkstatt holen.
    Wenig später rollten die Gespanne zum Brückenhaus hinauf. »Seht ihr den schlauen Heidelberger dort oben?«, tönte der Großvater hinten auf dem Ochsenkarren. Susanna sah ihn auf das Sandsteinrelief über dem Torbogen der Brückeneinfahrt deuten. Das zeigte einen Affen, der sich im Spiegel betrachtete und dabei sein Hinterteil anfasste. »Findet sein Gesicht unverwechselbar«, rief Meister Merkel, »und ist doch nur ein Arsch wie alle anderen.« Susanna musste lachen – genau wie alle anderen.
    Während der Vater mit dem Torwächter plauderte und ihm das Brückengeld bezahlte, erschienen plötzlich zwei Soldaten unter dem Bogen des Affenturms. Einem hing ein schwerer Degen am Gurt, der andere trug eine Hellebarde.
    Sie kamen herbei, stapften zuerst um den Ochsenkarren und dann um den Wagen herum, auf dem Susanna saß. Mit kalten Blicken musterten sie die Ladung. Einer bediente sich bei den Kirschen, der andere bedeutete Susanna mit herrischer Geste, ihm ein paar Erdbeeren zu reichen. »Es sind Engländer«, hörte sie den Vater sagen. »Sie gehören zur Heidelberger Garnison. Vielleicht sprechen sie unsere Sprache noch nicht. Gib jedem eine Handvoll Erdbeeren, Susanna, diese Männer beschützen uns die Residenzstadt.«
    Sie tat, was er sagte. Die Soldaten lächelten zum ersten Mal,ließen Susanna jedoch aufstehen und die Kiste öffnen. Flüchtig beäugten sie die Stoffe, umso gründlicher dafür die junge Frau, und das von den Spitzen ihrer Schuhe bis hinauf zum Scheitel ihrer dunklen Locken.
    Seltsam, wie ihre Augen dabei funkelten, und zu welch genüsslichem Schmunzeln sich ihre Lippen verzogen. Eine Gänsehaut rieselte Susanna den Rücken hinunter, und das Blut schoss ihr ins Gesicht. Schließlich tippte der mit der Hellebarde sich an den Helm, und der Degenträger lüpfte feixend seinen Federhut.
    Susanna setzte sich wieder. Sie war ganz steif und fröstelte noch immer. Der Wagen rollte an. »Schamloses Pack!«, hörte sie die Mutter zischen. Der Vater gestikulierte beschwichtigend und murmelte ein paar unverständliche Worte.
    Auf dem Ochsenkarren rief der Großvater: »Das ist schon die siebte Neckarbrücke hinüber nach Heidelberg. Mein Vater und ich haben daran mitgebaut. Sechsundfünfzig Jahre her.« Und dann erzählte der alte Meister Merkel wohl zum hundertsten Mal, wie in seiner Jugend starker Eisgang die vorige Brücke zertrümmert hatte. Es beruhigte Susanna irgendwie, die alte Geschichte zu hören.
    Sie fuhren unter dem Affenturm hindurch. Auf dem Kutschbock deutete der Vater durchs Brückengebälk hinunter auf den Neckar und begann wieder zu plaudern. »Weißt du noch?«, fragte er und erinnerte an jenen unvergesslichen Tag vor mehr als acht Jahren, als man den Einzug des jungen Kurfürsten und seiner englischen Elisabeth in der Residenzstadt feierte. Der gesamte kurpfälzische Hof schaukelte damals in prächtig geschmückten Schiffen jeder Größe auf dem Neckar. Wie so oft schwärmte der Vater auch von dem unvergesslichen Feuerwerk, das anlässlich dieses Festes entzündet worden war.
    Halb Handschuhsheim und ganz Neuenheim hatten sich damals auf den Südhängen des Heiligenbergs über dem Neckar versammelt. Mehr als tausend Menschen drängten sich bis lange nach Sonnenuntergang auf dem Philosophenweg und in den Weinbergen und Obsthainen darunter und darüber; aus Schlierbach und Ziegelhausen waren sie gekommen, ja bis aus Neckargemünd und Neckarsteinach.
    Susanna erinnerte sich gut: Zehn Jahre alt war sie

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