Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
damals gewesen, wenige Wochen zuvor erst hatte das blutjunge Fürstenpaar in London geheiratet. Um einen Blick auf die frisch Vermählten zu erhaschen, war Susanna inmitten einer großen Kinderschar hinunter zum Neckar gestiegen. Hannes war dabei gewesen. Er hatte heimlich nach ihrer Hand getastet, als der so herrlich als blauer Walfisch geschmückte Segler des Kurfürsten auf dem Neckar vorbeigeglitten war.
Nein, sie war Hannes nicht böse, dass er ihr all die Monate keinen Brief geschrieben hatte. Nur ein wenig traurig. Und hin und wieder lag sie schlaflos vor Angst und Sorge um ihn. Doch sein Schweigen beirrte sie nicht, sie war entschlossen, auf ihn zu warten. Vielleicht war sein Brief ja verloren gegangen.
Der Hufschlag der Pferde und Ochsen hallte über die Brücke, und die Wagenräder schlugen rhythmisch über die Fugen zwischen den Brückenbohlen. Oben, unter dem Dachgebälk, zwitscherten junge Schwalben in ihren Nestern, da und dort gurrten Tauben. Der Geselle auf der Kleiderkiste sagte schon lange nichts mehr. Seine zusammengepressten Lippen und der starr zur Seite gerichtete Blick verrieten Susanna, dass er beleidigt war.
Sollte er doch!
Die kleine Wagenkolonne erreichte das Ende der Brücke und rollte unter dem Doppelturm durch das Brückentor und die Rampe hinunter. Danach ging es die Steingasse hinauf Richtung Marktplatz und Heilig-Geist-Kirche. Wieder schüttelte Kopfsteinpflaster Karren und Menschen durch. Am Gassenrand grüßten die wenigen Männer und Frauen, die trotz des Marktages noch vor ihren Häusern arbeiteten: Schuhmacher, Korbflechter, Hutmacher, Töpfer.
Bald fiel der Schatten der Heilig-Geist-Kirche auf sie, und dannöffnete sich vor ihnen der Marktplatz. Hunderte Menschen tummelten sich dort. Durch das bunte Treiben hindurch lenkte der Vater das Gespann am Fischmarkt und am Kirchturm vorbei auf die Südseite des Gotteshauses.
Unzählige Menschen auch hier: Sie warteten vor den kleinen Läden, die von Alters her zwischen den Strebepfeilern der Kirche angebaut waren; sie schlenderten an Ochsenkarren, überdachten Ständen und Tischen entlang, auf denen die Bauern der Umgebung Obst, Gemüse, Eier, Schnaps, Wein und kleine Holz- und Lederarbeiten anboten; sie beugten sich über Leiterwagen, Körbe und Fässer, um Kraut, Salat und Rüben zu prüfen; sie drängten sich vor dem Kirchenportal – dort ausschließlich junge Männer –, um die am Türholz angeschlagenen Bekanntmachungen der Universität zu studieren.
Nicht weit vom Ritterhaus verdeckte ein Halbrund aus mannshohen Holzständern und dazwischen ausgespanntem schwarzen Sacktuch den Blick auf eine eng zusammengeschobene Wagenburg. Innerhalb dieses verhangenen Bereiches schienen sich viele Menschen aufzuhalten, denn vor dem schmalen Zugang drängten sich etliche, die nicht mehr hineinkamen. Aus dem Inneren der abgeschirmten Wagenburg hörte Susanna laute Stimmen, Hundegebell, Vogelrufe und Gebrüll, das unmöglich von Menschen stammen konnte.
Nicht weit davon, am Westflügel der Heilig-Geist-Kirche und gegenüber vom Ritterhaus, wo der französische Tuchhändler wohnte, entdeckten sie die Tanten und ihre halbwüchsigen Kinder hinter ihren kleinen Marktständen, auf denen sie Stoffe, hölzernes Küchengeschirr und Kuchen anboten. Dort hielten Vater und Großvater die Gespanne an. »Der Zahnbrecher«, sagte der Vater und reichte der Mutter ein paar Münzen. »Hörst du seinen Bären brüllen? Gehe hinüber und sieh zu, dass du deinen Stinkzahn losbekommst.«
Die Mutter weigerte sich und packte lieber mit an, um beimAufbau des eigenen Verkaufsstandes zu helfen. Die Gesellen luden Kisten und Fässer ab, legten Bretter darüber und packten Mäntel, Kleider, Jacken und Decken aus, die Meister Almut hier verkaufen wollte; Ware zumeist, die Kunden in Auftrag gegeben und dann nicht abgeholt hatten, weil sie gestorben oder verarmt waren oder sonst ein Schicksalsschlag sie daran gehindert hatte.
Auch überschüssigen Zwirn, den die Großmutter und die Tante an ihren Spinnrädern hergestellt hatten, boten sie zum Verkauf an. Ferkel, Legehennen, Rüben und Obst erhielten die Familien der Tanten als Geschenk.
Der Vater schickte den Lehrbub zum Tuchhändler hinüber ins Ritterhaus. Die Mutter drängte er, endlich zu den Wagen der Gaukler zu gehen, doch die fürchtete sich. »Der Allmächtige schickt uns einen Zahnbrecher nach Heidelberg, und du willst deinen Stinkzahn wieder mit nach Handschuhsheim nehmen?« Meister Almut schlug die Hände
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