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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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bemerkte.
    Die konnte natürlich nichts essen wegen ihres ausgebrochenen Zahns. Aschfahl und mit Leichenbittermiene stocherte sie lediglich ein wenig im Apfelbrei herum, den es eigentlich als Nachtisch geben sollte.
    Der zweite Onkel, der Tuchfärber, kam mit seinem Gesellen erst, als sein Bruder bereits das Tischgebet gesprochen hatte. Beide Männer setzten sich auf die freien Plätze neben Mutters Stuhl.
    Das nun verstärkte Mutters Qualen ganz erheblich, denn der Onkel und sein Geselle rochen nicht besonders gut. Nichts Ungewöhnliches: Alle Tuchfärber stanken. Das lag an den Farben, mit denen sie zu arbeiten hatten.
    Zuerst rümpfte die Mutter nur die Nase, dann begann sie zuschlucken und unruhig auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen. Schließlich stand sie auf und lief quer über den Hof. Je näher sie dem Plumpsklo kam, desto schneller rannte sie.
    Anna und Martin fanden das lustig und kicherten, die Tuchmachertante trieb ihnen die Heiterkeit mit schallenden Ohrfeigen aus, und Susanna ergriff die Gelegenheit beim Schopf: Sie nahm eine leere Rübenschüssel und ging ins Haus und dort in die Küche.
    Sie war ganz allein hier. Keine Mutter, die böse Blicke verschoss und missgünstige Fragen stellen konnte. Ein Segen manchmal, stinkende Onkels und eine geschwollene Mutterbacke. Statt die Schüsseln mit gekochten Rüben zu füllen, ließ Susanna sie am Herd stehen, lief zur Haustür hinaus und setzte sich auf die Vortreppe. Mit zitternden Fingern öffnete sie das Kuvert und las Hannes’ Brief.
    Es gehe im gut, schrieb er, und er habe sie sehr lieb.
    Susannas Brust wurde ganz weit und füllte sich mit stillem Gelächter. Wann hatte sie zum letzten Mal so tief durchatmen können?
    Magdeburg sei eine stolze und reiche Stadt, schrieb Hannes weiter, es gebe hier eine Menge zu lernen für ihn. Er habe schon große Fortschritte gemacht und das Vertrauen seines Meisters erworben. Er schreibe diese Zeilen in voller Zuversicht, dass auch sie, Susanna, ihn noch liebe und noch immer auf ihn warte.
    Susannas Augen füllten sich mit Freudentränen.
    Sie habe es ihm ja versprochen, hieß es weiter in dem köstlichen Brief, und er zweifele auch nicht an ihr – nur erhalte er eben keine Antwort auf seine Briefe. Ob womöglich irgendwer dafür sorge, dass Susanna sie nicht zu lesen bekomme?
    Susanna schloss die Augen, biss die Zähne aufeinander und sog scharf die Luft durch die Nase ein.
    Natürlich, so war es, so musste es sein: Die Briefe waren angekommen in Handschuhsheim, doch jemand hatte sie vor ihrverheimlicht und versteckt. Kein unlösbares Rätsel, wer dieser Jemand sein mochte.
    Susanna las weiter: Bald schon, nur wenige Wochen nach diesem Brief hier, würde er aufbrechen aus Magdeburg und zurück an den Neckar kommen.
    Susanna hielt den Atem an, las ein zweites und drittes Mal, doch es blieb dabei: Hannes wollte zurückkehren! Vor dem Ende seiner Wanderschaft!
    Sie zwang ihre Augen, nicht vorauszueilen, nicht ständig nach dem Schluss des Briefes zu schielen, zwang sich, langsam Wort für Wort zu lesen.
    »Ich komme nach Hause«, schrieb Hannes. »Ich komme zu dir und hole dich weg von der Bergstraße, denn auf ihr wird der Krieg nach Heidelberg marschieren. Alle sagen das hier. Der Herzog Christian von Braunschweig will ein Heer nach Süden führen und für die Sache unseres Kurfürsten streiten, und der König von Dänemark hat sich mit Jakob von England verbündet, um mit seinem Kriegsvolk in die Kurpfalz zu ziehen und ebenfalls gegen die Spanier und den General Tilly zu kämpfen. Niemand hier zweifelt daran. Und wütet er nicht schon vor den Toren unsere Heimat, der Krieg? Ich hole dich da weg, meine Geliebte, warte auf mich. Und gib dem Friedrich eine Nachricht für mich mit, wenn du meine Zeilen gelesen hast …«
    Erschrocken ließ Susanna das vollgeschriebene Blatt sinken. Noch zwei Stunden höchstens bis Sonnenuntergang. Die Steins würden längst ihre Stände abgebrochen, ihren Wagen gepackt haben. Sie sprang auf, steckte den gefalteten Brief unter den Ärmel und lief zurück ins Haus. In der Familie ihrer Mutter konnte man doch schreiben, die Tante musste doch Feder und Papier besitzen! Schließlich führte sie ihrem Mann die Bücher.
    Ihr Herz pochte wild, als sie die Treppe hoch in die gute Stube des Hauses stürmte. Auf dem Sekretär dort fand sie, was sie suchte: Tintenfass, Feder und Papier. In großer Hast kritzelte sie wenigeSätze hin, schrieb in sie ihr ganzes Herz hinein – wie sehr sie Hannes

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