Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
meisten nur halb so flehentlich jammern wie gewöhnlich, während Stephan sie unter launigen Trostworten von ihrem Übel erlöste. Das lag zweifellos am Wein, den die Leute hier auf dem Marktplatz der Festung Breisach schon seit dem frühen Vormittag in sich hineinschütteten.
Die zweite Septemberhälfte begann gerade und mit ihr die Weinlese im Kaiserstuhl. Der erste Tag des ersten Weinfestes dieses Jahres neigte sich, und die Alemannischen soffen, als hätte man ihnen befohlen, den Vorjahreswein aus sämtlichen Fässern sämtlicher Festungskeller zu tilgen.
Stephan hatte nichts dagegen. »Sie öffnen bereitwilliger die Mäuler, wenn sie berauscht sind«, pflegte er zu sagen. »Sie trennen sich leichter von ihren Zähnen und Münzen.«
Von Freiburg aus war die kleine Karawane der Gaukler entlang der Dreisam und über den Rhein hierher in die Festung Breisach gezogen. Den Sommer über hatte die Wagenbühne auf den Märkten entlang des Rheins gestanden: in Speyer, Durlach, Rastatt, Offenburg und so weiter.
Von Speyer waren sie fluchtartig aufgebrochen, als sie hörten, dass spanische Reiter einige Dörfer des Bistums verwüsteten. In Durlach hatten sie die Geschütze und die schwer bewaffneten Regimenter des Markgrafen sehen müssen. »Die werden bald Tod und Verderben über die Generäle Spinola und Tilly bringen«, hörten sie die Badener hinter vorgehaltener Hand flüstern.
Seitdem hockte Stephan die Angst im Nacken – die Angst vor dem Krieg. Mit Macht zog es ihn ins Hoheitsgebiet des französischen Königs; sein nächstes Ziel hieß Straßburg. Von dort wollte der Directeur de la Compagnie westwärts reisen, nach Paris, und danach hinunter in den Süden. Ihm schwebte vor, noch im Oktober die Pyrenäen zu überqueren und den Winter dann in Córdoba oder Granada zu verbringen.
Daraus würde nichts werden.
In Freiburg hatten sie sich den Zorn des Magistrats zugezogen, weil David sich wieder einmal seine bissigen Sprüche über die Jesuiten nicht verkneifen wollte. Keiner hatte ihnen gesagt, dass diese harten Herren der Inquisition schon seit dem Vorjahr die Universität zu Freiburg regierten. Und damit im Grunde auch den Rest der Zähringerstadt. Die Jesuiten wollten die Gaukler wegen Davids Späßen am Pranger sehen, und der Magistrat erhob nicht die geringsten Einwände.
Einige Studenten schon: Die liebten den Jean Potage und die Löffel und Messer werfende Zwergin und schickten einen der ihren mit einer Warnung. David hatte das Mädchen nicht einmal begrüßen können, das er in Freiburg kannte, da hatte der Marktag für die Gaukler schon ein Ende. Sie gaben Fersengeld.
Es ging noch einmal gut, und hier in Breisach hatte man mehr Humor – und hohe Festungsmauern außerdem.
Doch jetzt spähte die Zwergin am Vorhang vorbei über die Bühne in die wartende Menge davor und stieß einen Schreckensruf aus. Hastig kletterte sie vom Bühnenwagen und schaukelte mit pendelnden Armen und Zöpfen zu David und den Tieren; ihre verstörte Miene kündigte den nächsten Kummer an.
»Was hast du denn, Lauretta?« David klopfte Cura und Bela das Halsfell und erhob sich. »Du guckst ja, als hätte einer dich zu küssen versucht.« Die Landgräfin sah von ihren Hellern und Dukaten auf.
»Mach keine dummen Witze, Grünschnabel!« Die Zwerginblickte hinter sich, als fürchtete sie Verfolger. Vor David blieb sie stehen und sah zu ihm herauf. »Da ist einer, denn kenn ich aus Heidelberg.« Sie blähte die Flügel ihrer Knollennase, rieb sich die wulstige Unterlippe mit den riesigen Schneidezähnen und rollte die Augäpfel. »Erinnerst du dich an den hübschen Kerl mit dem roten Hut?«
David wollte kein Mann in Rot einfallen, schon gar kein hübscher. Nur an eine hübsche junge Frau mit schwarzen Locken erinnerte er sich. Sehr gut sogar: Vom Bühnenwagen aus hatte er sie beobachtet, lange und wie verzaubert, doch mehr als ein flüchtiger Blick war von ihr nicht zurückgekommen. Vielleicht musste er deswegen so oft an sie denken.
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Zu viele Leute, zu lange her.«
»Denk doch nach!« Was ihre gelähmten Ärmchen an Gesten nicht zustande bringen wollten, ersetzte das wilde Mienenspiel der Zwergin. »Franz hieß er. Der Leibgardist eines hohen Offiziers der Schlosswache. Er kam mit einem entzündeten Zahn zu Stephan herauf. Ein englischer Offizier gab ihm das Geld dafür.«
»Ja, und?«, mischte sich Marianne ein, die herangerauscht war. »Er wird erneut den Dienst eines guten Dentisten
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