Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
von Herzenburg neigte den Kopf auf die Schulter und lauschte mit gerunzelten Brauen. Mathias von Torgaus rechte Hand lag schon auf dem Degenkorb. »Ein Ave Maria klingt anders«, murmelte er. »Der schreit ja, als wollte ihn einer abstechen.«
Genauso abrupt, wie er stehen geblieben war, setzte der Rittmeister sich wieder in Bewegung. Seine Sporen klirrten. Schneller als zuvor ging er auf das große Flügelportal am Ende des Ganges zu; sein Freund und Cornet folgte. Dieselbe Männerstimme schrie erneut. Hinter dem mit frommen Schnitzereien verzierten Portal klang alles nach einem handfesten Streit. Jetzt hörten sie auch noch das Klirren von Klingen. Von Torgau zog blank.
Und dann auf einmal lachten sie hinter dem Portal, und der Kerl, der eben noch geschrien hatte, flehte mit sehr hoher Stimme um sein Leben. Noch lauter klang das Gelächter nun, und noch vergnügter. Von Herzenburg griff nach der schweren Bronzeklinke und öffnete das Portal zur ehemaligen Klosterkirche.
Die Bankreihen waren zur Hälfte gefüllt. Überwiegend mit Männern, spanische Offiziere zum größeren Teil. Viele trugen Verbände an Köpfen und Armen, zwischen einigen ragten Krücken auf. Vor langer Zeit noch ein Frauenkloster, danach ein Stift für die Töchter des höheren Adels schien das Anwesen in der Nähe Oppenheims nun als Lazarett für die Offiziersränge der spanischen Truppen zu dienen.
Im Altarraum stand ein Thron, worauf ein Mann in königlichem Prachtgewand saß. Vor ihm hatten sich Ritter in Fantasierüstungen versammelt, und mitten unter ihnen, in rot-gelbem Kostüm, kniete ein Harlekin am Boden. Ganz offenbar der Schreihals.
Jetzt schrie er nicht mehr, jetzt winselte er um sein Leben: Sein Degen lag außerhalb seiner Reichweite vor dem Thron, und einer der Ritter hatte ihm die Spitze seiner Klinge auf die Brust gesetzt.
Ein Spiel. Von Torgau steckte die Waffe in die Scheide, von Herzenburg schüttelte schmunzelnd den Kopf: Sie spielten tatsächlich Theater hier!
Im hinteren Mittelgang zwischen dem Eichengestühl hantierte vor einer Staffelei ein langhaariger Rotschopf mit Kohle und Lappen; mit flinken Bewegungen hielt er das Geschehen im Altarraum auf Leinwand fest. Neben ihm, am Anfang der Bank, stand eine blonde Frau in elegantem weißem Kleid. Den Rittmeister durchzuckte es heiß: Prinzessin Maria von Bernstadt. Seine Cousine. Unter Tausenden würde von Herzenburg sie erkennen, und zwar auf einen Blick.
Ihretwegen war er mit einer Reiterrotte den Rhein hinunter hierher ins ehemalige Kloster Mariacron geritten. Sie hatte ihm einen Brief nach Frankenthal geschickt, ins Heerlager des Generals Córdoba.
Der Rittmeister trat ein und bedeutete seinem Cornet mit einer Geste, das Portal hinter ihnen leise zu schließen. Obwohl das Kloster kein Kloster und die Kirche, wenigstens zu dieser Stunde, keine Kirche mehr war, sondern ein Theater, zogen beide Männer ihre Hüte und verharrten reglos am Eingang.
Die blonde Frau bei dem Maler bemerkte sie nicht. Keiner dort unten im düsteren Eichengestühl drehte sich nach ihnen um, alle verfolgten gebannt das Geschehen im Altarraum. Dabei sah man dort weiter nichts als einen König und eine Handvoll Ritter, die einen um seine Haut bettelnden Harlekin umringten.
Aber wie der bettelte! Mit Gesten jeder Art und mit Gesichternvon so vielfältigem Ausdruck, dass auch der Rittmeister gar nicht anders konnte, als ihm zuzuschauen.
Mal rang der Harlekin die Hände, mal riss er den seltsamen, fächerartigen Hut vom Kopf, um ihn in einem Anflug von Verzweiflung zu zerdrücken; mal schüttelte er wütend die Fäuste oder stach mit abgespreiztem Zeigefinger hinauf zu dem Ritter, der ihn mit dem Tod bedrohte. Und dabei zischte oder schluchzte er nur hin und wieder, musste auch gar nichts sagen, denn mit purem Mienenspiel verriet er so viel über seine Gefühle und Gedanken, dass jedes Wort überflüssig gewesen wäre.
Hier kämpfte einer um sein Leben. Oder tat wenigstens so.
Ob seine Gesten und Gesichtszüge bangten oder drohten, ob sie flehten, schmeichelten, fluchten oder in Panik bebten – man glaubte, dem so grell Kostümierten in die Seele zu schauen, ja mehr noch: Von Herzenburg empfand beinahe selbst die Wut, die Todesangst oder die Hoffnung des Grimassen schneidenden Harlekins.
Lachstürme hallten wieder und wieder durch die ehemalige Klosterkirche, und der Rittmeister konnte gar nicht anders, als mit einzustimmen. Selbst Mathias von Torgau, sonst nicht gerade mit Humor gesegnet,
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