Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
redete wie einer, der von jedem seiner Worte felsenfest überzeugt war. »Vor zwanzig Jahren hätte man die Wehranlagen zu Ende bauen müssen. Dass die Engländer es jetzt auf einmal tun, gibt mir recht, Meister Almut – die Regierung der Stadt hat Angst. Sind nicht bereits im August erste spanische Reiter vor dem Speyrer Tor gesehen worden? Glaubt mir: Der Baumeister in Heidelberg heißt Angst!«
»Gar nichts weißt du, Hannes Stein!« Der Vater ballte die Fäuste. »Wir haben niemanden zu fürchten. Der Markgraf von Baden-Durlach will für uns kämpfen, der Herzog von Halberstadt wird für uns kämpfen, sogar der Sultan der ungläubigen Türken hat dem Kurfürsten ein Heer angeboten! Und der tapfere Graf Mansfeld ist aus der Oberpfalz zurückgekehrt, um uns zu beschützen. Der scheut vor keinem Kampf gegen Tilly und seinem Kriegsvolk zurück …«
»Der scheut auch vor keinem evangelischen Handwerkshaus zurück!«, fiel Hannes ihm ins Wort. »Und vor keiner evangelischen Jungfrau!« Eine Zornesader schwoll an Hannes’ Stirn. »Verzeiht, Meister Almut, aber der Graf Mansfeld ist ein Mörder und Strauchdieb. Habt ihr nicht gehört, wie viele Dörfer der Evangelischen er im Elsaß angezündet hat?«
»So redest du nicht über die Obrigkeit, die Gott gesetzt hat, Hannes Stein!« Im Takt seiner Worte schlug der Vater mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Nicht in meinem Haus!«
»So rede ich über die Wahrheit! Beim Licht der Sonne und unter Gottes Himmel ist es geschehen, und darum spreche ich es in jedem Haus und auf jedem Hof aus.«
»Still!«
»Tilly marschiert schon dem Neckar entgegen.« Hannes beugte sich über den Tisch, flüsterte beinahe. »Wenn Córdoba Frankenthal gefressen hat, wird das gesamte spanische Heer vor Heidelberg auftauchen. Und der Weg dorthin führt über Handschuhsheim. Es muss sich doch bis zu euch herumgesprochen haben, wie viele Ortschaften sie auf der anderen Rheinseite verwüstet haben? Wisst ihr nicht, wie sie es in Guntersblum getrieben haben, diese Höllenhunde? Oder in Engelstadt oder in Eisenheim? In Magdeburg redet man darüber, und hier weiß man von nichts? Das glaub ich nicht! Ihr müsst doch von jenem Dorf bei Seeheim gehört haben, wo ein bayrisches Fähnlein den lutherischen Pfarrer im Kamin aufhängte und ihn über dem Feuer und im Rauch sterben ließ, weil er kein Versteck für seine Dukaten nennen konnte! Und was sie den Frauen und Mädchen dort antaten, ja selbst den Kindern …«
»Genug!« Meister Almut schlug mit der Faust auf den Tisch. »Nicht vor den Ohren meiner Töchter!«
Hannes richtete sich auf und sog scharf die Luft durch die Nase ein; kein Wort kam mehr über seine Lippen. Die Großmutter in der Tür lehnte mit gesenktem Kopf gegen des Großvaters Brust.Ihr Oberkörper bebte. Das verwitterte Gesicht des alten Meisters Merkel war das Gesicht eines Verurteilten unter dem Galgen. Die Tante murmelte weinerlich und rang die Hände, als würde sie sich waschen. Aus der Werkstatt hörte Susanna ihre Schwester Anna weinen. Sie selbst saß stocksteif, und der Atem wollte ihr nur schwer in die Brust.
Hannes stand auf, wechselte einen Blick mit Susanna, wandte sich dann zur Tür in die Werkstatt. Die Großeltern und die Tante machten ihm Platz. Susanna sprang hoch, lief ihm hinterher, ergriff seine Hand und ließ sie nicht mehr los. Draußen im Hof packte er die Zügel seines Rappen und zog ihn und Susanna hinter sich her auf die Dorfstraße und dann nach Norden.
Die Haustür wurde aufgerissen. »Susanna!« Ihre Mutter trat aus dem Haus. »Du bleibst hier!« Susanna kümmerte sich nicht um sie, lief Hand in Hand mit Hannes die Dorfstraße hinunter. Überall Nachbarn – in den Gärten, an den Hofeinfahrten, in den Haustüren, an den Fenstern. Sollen sie uns doch sehen, dachte Susanna. Sollen sie doch sehen, dass wir Mann und Frau sind.
Die Mutter lief ein paar Schritte hinter ihr her, wagte aber wegen der Nachbarn nicht, sie zu greifen und mit Gewalt zurückzuhalten. »Wirst du wohl hierbleiben, Susanna?« Susanna tat, als hörte sie nicht, ging einfach weiter.
Die Abzweigung näherte sich, von der aus der Weg in den Waldhang hinaufführte. »Wir müssen fort, Susanna«, sagte Hannes. »Das hast du doch verstanden?«
»Du meinst …« Sie zögerte. »Du meinst, nach Heidelberg?«
»Der Krieg wird erst nach Handschuhsheim kommen und danach auch nach Heidelberg. Wir müssen weiter fort, wenn wir leben wollen. Und ich will leben. Mit dir.«
»Wir
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