Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
können doch trotzdem nach Heidelberg gehen.« Als wollte sie ihn für immer festhalten, griff sie mit der anderen Hand nach seinem Arm. »Dort bauen sie die Wehrmauern aus …«
»Viel zu spät, Susanna, hast du nicht zugehört? Noch wenigeWochen, dann werden die Spanier oder der geharnischte Mönch oder beide vor der Stadt stehen und Einlass fordern. Und wer will ihnen den verwehren? Die Mauern von Heidelberg sind zum Prahlen gemacht und nicht für den Krieg. Heidelberg wird brennen, wenn es die Tore nicht freiwillig öffnet.«
Susanna dachte an die Flammenvision des Magisters Pareus und fröstelte. Vor ihrem inneren Auge brannte das Schloss, das Zehnthaus, die Heilig-Geist-Kirche, die Häuser der Onkel. Das Herz schlug ihr plötzlich in der Kehle. »Aber wohin sollen wir denn gehen? Nach Heilbronn vielleicht? Oder nach Wimpfen wie die Kurfürstenmutter?«
»Nach Magdeburg.«
»So weit?« Wie ein Schreckensruf entfuhr es ihr.
»So weit ist es gar nicht. Und Magdeburg ist eine reiche Stadt mit starken Mauern.« Er blieb stehen und sah sie an.
»Größer als Heidelberg?«
»Viel größer. So wie Hamburg oder Augsburg. Und ein starker evangelischer Fürst regiert das Land, der ist mit dem schwedischen König verbündet.«
Die Vorstellung, so weit weg und in eine so große Stadt zu gehen, machte Susanna schwindlig vor Angst. Der Boden unter ihren Sohlen schien zu schwanken. »Aber du bist doch katholisch!«
»Was ist das schon – katholisch, lutherisch, türkisch, reformiert?« Hannes zuckte mit den Schultern. »Wenn man sich ein bisschen fügt, kann man überall leben, wo man frei und ohne Angst durchatmen kann.« Er griff nach dem Sattelknopf. »Wir müssen weg, es führt kein Weg dran vorbei. Geh mit mir, ich bitte dich.«
»Aber wie denn, Hannes, wie denn?« Sie ließ ihn los, presste die Fäuste gegen die Wangen. »Wir können doch nicht einfach unsere Elternhäuser hinter uns lassen, unsere Heimat, unsere Familien!«
»Wir müssen und wir können.« Er zog sie an sich und streichelte beruhigend ihren Rücken. »Vertrau mir, liebste Susanna.Ich besorge Pferde und Wagen. Und ein wenig Proviant. Mein Vater wird mich ausbezahlen, so gut er kann. Den Rhein hinunter dürfen wir nicht, das ist zu gefährlich. Wir müssen den Neckar hinauf und einen Bogen über Mosbach und Heilbronn fahren. Pack nur das Nötigste, tu es heimlich. Niemand darf es merken, niemand soll dich aufhalten.«
»Und wann?« Susannas Widerstand bröckelte, ihre Stimme klang dünn und hohl.
»So schnell wie möglich. Der General Tilly will angeblich Ende Oktober am Neckar ankommen. Córdoba wird gegen Heidelberg ziehen, sobald Frankenthal gefallen ist. Spätestens in zwei Wochen, schätze ich. Mehr als zehn Tage bleiben dir nicht für den Abschied, Susanna. In drei Tagen schicke ich Friedrich oder Monica. Wen auch immer – gib ihm eine Nachricht, wann du bereit bist und zu mir kommen wirst.«
»In drei Tagen …« Susanna biss sich auf die Unterlippe.
»Hast du nicht verstanden, Susanna?« Er wurde streng. »Es geht um unser Leben.« Er bog ihr die Fäuste auseinander, zog sie noch einmal an sich. »Du willst doch mit mir leben?«
»Ja.« Sie schluckte, biss die Zähne zusammen und atmete tief durch. »Ja, das will ich, mein Geliebter.«
»Ich lieb dich sehr«, flüsterte er und küsste sie auf den Mund. Susanna sank in seine Arme und vergaß Nachbarn und Mutter.
»Gib mir Nachricht.« Sanft schob er sie von sich und stieg in den Sattel.
»Wo werden wir uns treffen?«
»Auf keinen Fall in unserem Walddorf, denn dort würden sie dich zuerst suchen. Ich warte in der Abtei Neuburg auf dich.« Susanna nickte. »Nimm nicht den Weg über Neuenheim, gehe nicht am Neckar entlang. Nimm den Weg über den Heiligenberg. Niemand wird dich dort suchen, und es sind dennoch nur zwei Wegstunden.«
»Kloster Neuburg.« Sie schluckte, nickte und schluckte erneut.»Und du wirst dort sein?« Susanna blickte zu ihm hinauf und wusste kaum, was sie sagte.
»Ab Sonnenaufgang werde ich dort auf dich warten, meine liebste Susanna. An dem Tag, den du mir nennen wirst. Zögere nicht, uns bleibt nicht mehr viel Zeit.« Hannes hieb dem Rappen die Absätze in die Flanken und galoppierte den Waldweg hinauf.
8
E ine Männerstimme tönte plötzlich hinter dem dunklen Schnitzwerk am Ende des Ganges, erst kraftvoll und fordernd, dann brüllend und sich überschlagend. Der Rittmeister und sein Cornet blieben jäh stehen. Einer sah den anderen an.
Maximilian
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