Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
September. Und da schon hatten sie dem Affen nur fünf Kreuzer in den Hut gelegt.
»Geduld«, sagte die Zwergin. »Die Heidelberger werden schon noch kommen. Sie wissen doch, dass sie heute Neues zu sehen kriegen.« Niemand widersprach ihr, denn alle wünschten, es wäre wahr.
Vor der Bühne zogen zwei Jungen prall gefüllte Säcke von ihren Schultern, und zwei Mädchen setzten einen Korb voller Kohl, Fallobst, Sonnenblumenblüten und altem Brot ab. »Wenigstens bringen sie wieder Futter für die Tiere mit«, sagte David. Sein Magen knurrte gewaltig; die Tiere würden die Gaben der Kinder teilen müssen.
Heinrich van der Merven, der holländische Gouverneur der Stadt, hatte den Gauklern verboten, einen Zaun aus schwarzem Sacktuch um ihre Wagenbühne zu errichten. Gaben sie eine Vorstellung, musste die Landgräfin zur Wagenburg jetzt zuvor den Affen durch die Reihen der Zuschauer führen, damit der ihnen einen Hut unter die Nase halten und die Leute ihr Eintrittsgeld hineinwerfen konnten. Zuletzt hatten neben Münzen auch Knöpfe und sogar kleine, flache Steine im Hut gelegen. Und zuletzt gab es auch nur noch eine einzige Reihe von Zuschauern. Heute würde wohl kaum noch eine halbe zusammenkommen.
Den Rübelrap hatte der holländische Gouverneur nicht freigelassen. Im Gegenteil: Er verdächtigte Stephans kleine Gauklertruppe, mit ihrem Bauchredner gemeinsame Sache gemacht zu haben. Der englische Schlosskommandant hatte sie scharf zurechtgewiesen und ihnen verboten, die Stadt zu verlassen. Bis der Pfalzgraf Johann von Zweibrücken käme, um das Urteil zu sprechen – über Rübelrap und Stephans Gaukler.
Stephan und Marianne mochten ihre Unschuld noch so wortgewaltig und tränenreich beteuern – Magistrat und Gouverneur glaubten ihnen nicht. Und der Pfalzgraf Johann ließ auf sich warten.
Dürre Zeiten für die Gaukler: Sie durften nicht zu den Toren hinaus, um im Heidelberger Umland Davids Späße, die Wurfkunst der Zwergin und die Tanzkunst der Bären zum Besten zu geben, und in Heidelberg selbst konnten sie kaum noch jemanden vor ihre Bühne locken. Fast jeder Bürger hatte ihre Darbietungen schon einmal gesehen. Manche zweimal und öfter. Und einen schlimmen Zahn trug auch keiner mehr im Maul herum. Nur noch Angst trug ein jeder mit sich herum, schlimme Angst vor Tilly und seinem bayrischen Kriegsvolk.
David und Stephan machten sich nichts vor: Angst vertrieb den Heidelbergern die letzte Lust auf Gauklerspäße.
Zwei Ochsen hatten die Gaukler bereits verkaufen müssen. Übermorgen würde der beste ihrer vier Wagen für beklagenswert wenige Gulden in den Besitz eines Weinbauern übergehen. Und wenn dieses Geld aufgebraucht war, würde Stephan und David nichts anderes übrig bleiben, als dem Drängen des Magistratsnachzugeben und sich als Tagelöhner beim Bau der Heidelberger Wehranlagen zu verdingen.
»Hartes Brot.« Stephan seufzte und bückte sich nach dem feinen Hut des Herrn Pantalon. »Verflucht hartes Brot.«
»Beiß dir die Zähne daran aus und friss es, du Narr!« Die Landgräfin zur Wagenburg schleuderte ihm die üblichen Zärtlichkeiten ins Gesicht. »So hast du es doch gewollt. Oder hat dich einer gezwungen, dem dummen Goliath hinterherzufahren? Recht geschieht’s dir!« Sie zeterte in letzter Zeit noch gehässiger, als David es sowieso schon von ihr gewohnt war.
»Böses Weib, Ihr!« Wie schützend schob die Zwergin sich zwischen Stephan und Marianne. »Eine Hexe wie Euch hat Stephan nicht verdient.« Täglich schaukelte Lauretta vom Herrengarten, wo die Reste der Wagenburg meist auf dem alten Turnierplatz standen, hinunter zur Brücke, um ihren Großen zu besuchen. Dort nämlich, mit schöner Aussicht auf den Neckar, hockte Rübelrap in einem Kerker oben im Brückenturm.
»Von einer Missgeburt wie dir lasse ich mir gleich gar nicht das Maul verbieten!«, giftete Marianne.
»Schweig!«, herrschte Stephan seine Frau an; er war ihr gegenüber mutiger geworden. Und tatsächlich hörte die Landgräfin auf zu zetern. Sie stieg zu David auf den Wagen und lugte auf der anderen Wagenseite am Vorhang vorbei.
Murmelnd spähte David hinüber zu den Marktständen und den Läden in den Wandnischen der Kirchenfassade. »Wo bleibt ihr denn, ihr Heidelberger Bürgerbäuche?« Besonders kauflustig waren die Heidelberger heute nicht: Nur ein paar Dutzend Frauen und kaum zehn Männer machte er vor den Kirchenläden und den Marktständen aus. »Kommt schon her zu uns, ihr Pfälzer Pfaffenpfoten.«
»Wird Er
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