Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
wohl Ruhe geben?«, fauchte die Landgräfin. »Er wird uns noch die letzte zahlende Kundschaft vertreiben mit seinem respektlosen Geschwätz.«
»›Zahlende Kundschaft‹«, höhnte David und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Kinder. »Ich wusste ja gar nicht, wie witzig Ihr sein könnt, Königliche Hoheit!« Und dann wieder Richtung Marktplatz: »Her mit euch, ihr Neckarneschthocker und Geizgoschen!«
Der Ärger über die sparsamen und lustlosen Leute von Heidelberg nagte bald stärker in seinen Eingeweiden als der Hunger. Zwei Tage lang hatten er und Stephan vom Speyrer Tor bis zum Neckargemünder Tor sämtliche Gassen und Straßen der Stadt durchstreift – er mit einer Trommel um den Bauch und Cura an der Kette, Stephan mit dem Uhu auf dem Arm und dem Affen auf der Schulter. Zwei Tage lang hatten sie die neuen Späße, Kunststücke und Geschichten angekündigt, die sie sich ausgedacht hatten, um wieder ein paar Kreuzer in die Schatulle und frisches Brot und Fleisch zwischen die Zähne zu bekommen.
»Die ersten beiden Blagen trollen sich schon wieder.« David ballte die Faust. Die Enttäuschung tat weh: Zwei Jungen aus der Kinderschar vor der Bühne schlossen sich einem Haufen von Studenten an, der lärmend an der Kirche vorbei über den Marktplatz zog. Und darunter war niemand, der sich zu den vor der Bühne wartenden Kindern gesellen wollte!
Dabei liefen nicht einmal wenige Leute über den Marktplatz, und fast alle in dieselbe Richtung. Dem Bühnenwagen der Gaukler gönnte keiner auch nur einen Blick. Sie eilten an ihm vorbei zum östlichen Rand des Platzes und bogen dort um die Ecke Richtung Spital und Schlossweg ab.
»Was schont ihr eure Schatullen, ihr kurfürschtlichen Kaschtenschädel, ihr Rebsaftschlucker, Mischtschwätzer und Feinde der Luscht?«, rief David, sodass ihn auch die Kinder vor der Bühne hören mussten. Der Kolkrabe krächzte, der Tanzbär Bela zerrte an seiner Kette und Marianne zischte und stieß ihrem frechen Gaukler den Ellenbogen in die Rippen. Doch David wollte nicht mehr aufhören, die Heidelberger zu beschimpfen und ihren weichen und mit lauter Asch und Isch und Usch gesättigten Singsang nachzuäffen …
Und plötzlich verstummte er doch.
Nicht, weil die Landgräfin immer bedrohlicher zischte und immer schmerzhafter mit dem Ellenbogen nach ihm stieß; auch nicht, weil der mürrische Stephan nun ebenfalls begann, ihn zurechtzuweisen – der Anblick einer jungen Frau war es, der David die Sprache verschlug: Groß und schlank, mit langen schwarzen Locken und in dunkelrotem Kleid ging sie in einer Gruppe von Halbwüchsigen und älteren Frauen über den Marktplatz.
Sie war es! Er erinnerte sich genau.
Im Frühsommer, als Rübelrap unseligerweise den Schlosskommandanten bestohlen hatte und den Capitän der Schlosswache gleich dazu, da hatte er sie am Rande der Zuschauermenge stehen sehen und seitdem nicht mehr vergessen.
Sie hatte ihn kaum beachtet damals, war nicht einmal von Anfang an unter den Leuten vor der Bühne gewesen. Sie wusste also gar nichts von seiner ganz eigenen Kunst der Bärenjagd, wusste nicht, wie schön er tanzen, wie gut er fiedeln und wie witzig er über Jesuiten und blasiertes Nobelvolk herziehen konnte. Und jetzt ging sie auf einmal an der Heilig-Geist-Kirche vorbei über den Marktplatz. Ging sie? Nein, sie schritt wie eine Königin.
»Wohin wollen die alle?« David ließ den Vorhang los und kletterte vom Wagen. »Wohin, beim Heiligen Rochus? Und warum nicht zu uns?« Er führte Bela zum Zeugwagen, wo er die Halskette seines Tanzbären in einen Federhaken hängte. »Das möchte ich wirklich wissen. Ich werde jetzt also gehen und es herausfinden.«
Wirklich wissen und herausfinden wollte er selbstverständlich nur eines: Wohin ging dieses schöne Mädchen, und wie hieß es?
Die Landgräfin pumpte sich schon wieder auf, um mit ihm zu zetern. Doch Stephan kam ihr zuvor. »Nimm Cura und die Trommel mit«, sagte er. »Die ersten drei Zähne breche ich zum halben Preis. Schrei’s den Heidelberger Schnarchnasen in die Ohren, wassie verpassen, wenn sie nicht endlich vor unsere Bühne kommen!« Er seufzte tief. »Und bis du zurückkehrst, werden wir den braven Kindern ihre Almosen mit einem Tänzchen und ein bisschen Messerwerfen vergelten.«
David war mit allem einverstanden, hörte sowieso nur noch mit halbem Ohr zu. Er stülpte der alten Bärin einen Maulkorb über und legte ihr die Kette an. Van der Merven und der Magistrat hatten entschieden, dass
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