Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
wissen von diesem eingebildeten Pack, gar nichts sehen von seiner pompösen Kulisse und seinen geckenhaften Kostümen.
Er biss die Zähne zusammen, ließ seinen Blick über die Menge der Zuschauer wandern. Wo war das Mädchen? Wo leuchtete ein dunkelrotes Kleid?
Bis in den Hang des Schlossberges hinein hatten die Leute sich Plätze gesucht. Sie hockten auf der Hofmauer, ja sogar in den Linden und Buchen rechts und links der fremden Gauklerbühne. Eine eigenartig konzentrierte Stille herrschte, nur hier und da hörte man jemanden tuscheln oder lachen. Und wieder erhob sich die Gauklerstimme von der Bühne.
David hörte nicht hin, denn er hatte endlich entdeckt, was er suchte: die junge Frau mit den schwarzen Locken und dem dunkelroten Kleid.
Unter allerhand anderem Jungvolk stand sie auf der Vortreppeder Hofkanzlei und spähte zur Bühne hinüber. Wie ein Lachen breitete es sich in Davids Brust aus, dämpfte Neid und Wut, glättete seine vor Ärger grimmigen Züge.
Er musste in ihre Nähe, wollte er ihre Aufmerksamkeit gewinnen, doch die Gaffer standen dicht an dicht. Der junge Gaukler benutzte Faust und Ellenbogen, um sich durch die Menge zu drängen. Cura, an straffer Kette hinter ihm, trug ihren Teil dazu bei, dass man ihm williger auswich, als man es bei einem anderen getan hätte.
»Achtung, Bär!«, rief er, als er den Respekt der Leute vor Cura bemerkte. »Vorsicht, der wilde Bär ist schlecht gelaunt heute! Beißt und kratzt, als wäre über Nacht der Teufel in ihn gefahren. Passt bloß auf!« Erschrocken fuhren die Heidelberger herum, zogen ihre Kinder hinter sich und machten ihm Platz. Schritt für Schritt arbeitete David sich auf diese Weise unter dem Torbogen hindurch und an die Vortreppe der Kanzlei heran.
Auch die Bühne rückte näher, und die sechs oder sieben Reihen aus Lehnstühlen, die vor ihr aufgebaut waren. Darin leuchteten weiße Halskrösen, große Hüte mit bunten Prachtfedern, elegant frisierte Frauenköpfe, blond und dunkel, und Frauenhälse, die schlank und weiß wie Schnee waren.
Höflinge aus dem Schloss lauschten dort dem Monolog auf der Bühne, Offiziere vor allem. David erkannte den englischen Schlosskommandanten Sir Gerard Herbert. Den holländischen Gouverneur van der Merven sah er nirgends.
Links der edlen Gesellschaft, etwa auf Höhe ihrer ersten Sesselreihe, stand einer in flacher Kröse und schlichtem, ockerfarbenem Wildlederrock und pinselte mit hastigen Bewegungen auf einer Leinwand herum, die er über ein Holzgestell gespannt hatte. In der Linken hielt er eine Scheibe voller Farben, und immer, wenn er sich von der Bühne zur Leinwand oder von der Leinwand zur Bühne wandte, wallte ihm wie ein Schleier sein langes rotes Haar um die Schultern.
In der Mitte der ersten Reihe fiel dem Gaukler eine blonde Hofdame auf, weil sie ständig zu dem Maler und dann wieder hinter sich und zur Vortreppe der Kanzlei blickte. Wenn sie das nicht tat, tuschelte sie mit einem jungen Edelmann zu ihrer Rechten, der die schwarzen Locken auffällig lang und große weiße Federn auf dem Hut trug; Schwanenfedern, wie David auf den ersten Blick erkannte.
Und der Edelmann zu ihrer Linken, der mit dem schwarzen Hut und der modernen flachen Halskrause, war das nicht der Baron Rudolph von Mosbach, der Capitän der Schlosswache? Ganz gewiss war er das, und jetzt entdeckte David auch seinen roten Leibgardisten, den so unseligen wie lächerlichen Franz Hacker. Am Rand des Lehnstuhlblocks stand das Männlein, direkt neben der ersten Reihe, und hielt sich an seiner langen, mit dem Kolben ins Gras gestemmten Muskete fest. Weil in diesem Augenblick einer der Gaukler auf der Bühne einen heiseren Schrei ausstieß, zuckte der Franz Hacker zusammen und Davids Blick flog zur Bühne hinauf.
»Ein Geist!«, rief der Gaukler, der geschrien hatte, und legte den Finger auf den grellrot geschminkten Mund. »Ein Geist ist dem Prinz Hamlet erschienen.«
Obwohl er nun leise und mit deutlich englischem Zungenschlag sprach, verstand man jedes Wort. Augenblicklich erfasste David, dass er die Stimme nicht zum ersten Mal hörte. Und als er genauer hinsah, erkannte er auch das Gesicht unter der Schminke.
Christopher Greenley, der englische Prinzipal!
Ein paar Atemzüge lang vergaß David sogar das Mädchen; ganz still stand er plötzlich. Cura stieß ihm von hinten gegen die Schenkel, und weil ihr Herr partout nicht weitergehen wollte, ließ die alte Bärin sich neben ihm am Boden nieder, gähnte und schloss die
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