Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Gedicht und einem Brief für Susanna. Martin, ihr Cousin, würde ihm schon helfen, den Liebesbrief unter ihr Kopfkissen zu schmuggeln.
Die Sonne ging auf. Wieder leuchtete der Himmel unnatürlich hell, beinahe gleißend. In seinem ganzen Leben hatte David das Himmelszelt noch nicht in dieser Weise glühen gesehen. Unheimlich sah das aus; als hätte sich im Osten das Tor zu einem gewaltigen Schmelzofen geöffnet.
Plötzlich sah David überall Menschen. Sie versammelten sich über ihm auf der Schlossmauer und unter ihm auf dem Marktplatz, sie liefen auf die Neckarbrücke und stiegen die Treppe und die Schlossstraße zu ihm herauf. Alle wollten sie das Naturschauspiel sehen, jung und alt, groß und klein.
Die Kirchturmuhr schlug acht, David vergaß den Trutzkaiser, sein Fuhrwerk, den Franz Hacker und starrte in den Himmel: Nicht eine, drei Sonnen standen dort auf einmal – so jedenfalls sah es aus –, und ein Regenbogen überwölbte sie wie ein glühendes Tor. Dessen Zenit strahlte wie farbiger Brand, an seinen Enden verschwamm sein buntes Licht mit dem Leuchten der Sonnendreieinigkeit. Ein atemberaubender Anblick.
Um sich herum hörte David die Heidelberger seufzen, tuscheln und rufen. Einige beteten, andere sangen, etliche versuchten sich in Erklärungen der unfassbaren Erscheinung. »Der dreieinige Gott selbst wird für uns kämpfen!«, säuselte es da aus der Menge. »Heidelberg wird brennen«, flüsterte es, »der Kurfürst kommt zurück, besiegt den Kaiser und wird dessen Krone gewinnen!«, kreischte es, und eine Frauenstimme nicht weit hinter David sagte: »Ich habe Angst.«
David fuhr herum: Sie war es.
Mit bleichem Gesicht stand sie zwischen Schwester und Tante. Ein weinroter Schal mit schwarzen Stickereien verhüllte ihren dunklen Lockenkopf nur zur Hälfte, dunkelrote und gelbe Blumenstickereien zierten ihren grauen Mantel. Wie wunderschöndas aussah, und wie kunstvoll! David vergaß zu atmen, trank ihren Anblick mit den Augen.
Doch als ihre Blicke sich begegneten, wandte sie sich ab und lief wieder hinunter in die Stadt.
Selig und traurig zugleich ritt David zurück an die Westmauer zu seinem Bautrupp, selig und traurig zugleich nahm er die Stockschläge hin, mit denen Franz Hacker seine Verspätung bestrafen ließ. Leichter als an anderen Tagen kamen ihm die Steine an diesem Samstag vor, und die Winterluft blies nicht halb so schneidend.
Danach sah er Susanna lange nicht mehr.
An einem späten Abend Mitte Februar stand David mit zahllosen Heidelbergern auf dem Marktplatz und bestaunte den Vollmond: Wie von einem Ring aus Wolken und Licht umgeben sah er aus und zugleich wie hinter ein Kreuz aus Wolken und Licht gesperrt. Wollten die Himmelserscheinungen denn gar nicht mehr aufhören? Natürlich wähnten die Leute den Weltuntergang vor der Tür stehen.
Einen Vorgeschmack darauf bekamen sie Anfang März, als das Eis auf Rhein und Neckar taute und das Umland von Heidelberg unter Wasser stand. Unter gingen aber nur die Mäusebruten, sodass die Bauern Hoffnung schöpften, in diesem Jahr die Ernte ganz für sich behalten zu können. Daraus sollte nichts werden. Bald danach schuftete David zwischen Studenten, Häftlingen und Soldaten im neuen Graben zwischen Trutzkaiser und Westmauer.
Im April dann überschlugen sich die guten Nachrichten: Der Markgraf von Baden-Durlach und der Herzog von Württemberg zogen gegen Tilly in den Krieg; der blutjunge Herzog von Braunschweig machte den Papisten nördlich des Mains das Leben schwer, und Tillys Bayern mussten aus der Stadt Ladenburg vor jenem Grafen Mansfeld weichen, von dem David gehört hatte, dass er vor keinem Waffengang zurückscheue und allein deswegengegen die Papisten kämpfe, weil die Evangelischen ihn besser bezahlten. Sie bezahlten ihn offenbar so gut, dass er Tillys Heer bei Wiesloch schlug.
In der Residenzstadt residierte die Hoffnung.
Der König von England versprach mehr Soldaten, und Mitte April sah David Heidelberger und Engländer auf dem Marktplatz tanzen: Der Kurfürst Friedrich war plötzlich wieder bei seinem Heer aufgetaucht. Irgendwo im Bistum Speyer tat er sich mit eben jenem Grafen Mansfeld zusammen. Sie zündeten ein paar katholische Dörfer an, eroberten später sogar Darmstadt und legten den Landgrafen dort so lange in Ketten, bis er schwor, niemals mehr gegen die Pfalz zu kämpfen.
In Heidelberg sprach da schon lange keiner mehr von Untergang. Auch nicht, als dem Markgrafen von Baden-Durlach vor Wimpfen ein Munitionswagen
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