Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
kurz bevor.
Lähmendes Entsetzen legte sich auf die Menge, und es wurde plötzlich ganz still.
Später sahen sie Kähne voller Menschen östlich der Brücke amUfer vor der Mönchsmühle anlegen. Flüchtlinge aus Neuenheim und gefangene Bayern, hieß es. Die Flüchtlinge seien verstört und viele verwundet, die Bayern betrunken. Angeblich brachte man die Neuenheimer ins nahe Gymnasium und die bayrischen Soldaten zum Verhör ins Schloss hinauf.
Der Onkel machte sich auf den Weg zum Gymnasium, wollte versuchen, mit den Leuten aus Neuenheim zu sprechen und hören, wie es in Handschuhsheim stand.
Allmählich zerstreute sich die Menschenmenge. Wie den Onkel drängte es viele Richtung Mönchsmühle und Gymnasium, andere strömten in die Steingasse und zur Heilig-Geist-Kirche hinauf. Susanna und Anna schlossen sich der Tante und den Nachbarn an, die hinunter zur Neckarwiese stiegen.
Plötzlich senkten sich eine Hellebarde und eine Faust vor Susanna, und die Stange in der haarigen Männerfaust trennte sie von Anna und den anderen. »Stop!« Der Hellebardenträger stellte sich vor ihr auf. »Wohin so spät, Beautyful?«
Gestank von Tabak und Wein wehte Susanna entgegen, und eine Eisklaue schien sich um ihr Herz zu legen, sodass es ins Stolpern kam. Sie kannte den Mann – es war der englische Soldat, der sie schon im Sommer letzten Jahres mit seinen lüsternen Blicken aus den Kleidern hatte schälen wollen.
Und auch der andere, der Offizier mit dem schweren Degen, stand plötzlich dicht neben ihr. »So sieht man sich wieder …« Ein feixendes Gesicht beugte sich dicht an ihre Wange.
Ein dritter packte sie am Arm, ein Pfälzer. »Komm mit uns, meine Schöne. Eine warme Mahlzeit und etwas Wein werden dir guttun.«
Die Tante und Anna protestierten, wollten die Hellebarde zur Seite drücken und streckten die Arme nach Susanna aus. Doch der Soldat stieß die Frauen zurück, richtete sogar die Hellebarde auf sie.
Susanna fühlte den Boden unter den Sohlen wanken. Der Pfälzer zerrte sie zum Brückentor. »Ich will nicht«, flüsterte sie. »Ich will nicht«, sagte sie lauter. »Ich will nicht!«, schrie sie schließlich.
»Aber wir wollen.« Der rohe Waffenknecht packte sie bei den Hüften und hob sie hoch. »Und mit genug Wein im Kopf wirst auch du bald wollen.« Er stieß ein kehliges Lachen aus.
Auf einmal stellte sich ihm einer in den Weg, stemmte die Fäuste in die Hüften und sagte: »Er bringt das Mädchen unters Brückendach?« Susanna traute ihren Augen kaum: Der junge Gaukler, der ihr nachstellte, seit sie in Heidelberg wohnte.
Der Pfälzer blieb stehen, setzte Susanna ab, musterte den viel Jüngeren erst verblüfft, dann wütend. »Was geht es dich an, Bursche? Aus dem Weg!« Er war einen halben Kopf größer als der Gaukler und hatte viel breitere Schultern.
»Ich krieg Prügel, wenn ich nicht weiß, wo Er sich mit der da vergnügen will«, tönte der Gaukler. Susanna wurde es immer enger in der Kehle.
»Von wem, verflucht?«
»Vom Baron von Mosbach, dem Capitän der Schlosswache und persönlichem Freund des Schlosskommandanten Sir Herbert. Sie ist nämlich sein Liebchen, und ich bin sein Gardist und muss jederzeit ein Auge auf sie haben.« Ganz ernst und wichtig tat er, beäugte den Pfälzer Waffenknecht von oben bis unten, beugte sich dann zur Seite, um auch die beiden Engländer zu betrachten. »Und vor allem muss ich ihm die Kerle beschreiben, die sein Liebchen allzu schön finden. Ein englischer Feldwebel also, ein englischer Hellebardist und ein Pfälzer …«
Der Pfälzer ließ Susanna los, schlug den Gaukler ins Gesicht und packte ihn am Kragen. »Das war der Vorschuss für die Prügel, die du beziehst, wenn du mir das nächste Mal über den Weg läufst.« Er stieß den blutenden Gaukler aufs Pflaster.
Susanna stand stocksteif, hörte kaum, wie die drei Soldaten sich besprachen, spürte kaum, wie der Engländer mit der Hellebarde sie aufs Gesäß schlug, als er an ihr vorbeiging und den anderenbeiden in den Turm folgte. Anna und die Tante fassten ihre Handgelenke, zogen sie zur Treppe und auf die Neckarwiese hinunter.
Wie betäubt stolperte sie zwischen ihnen durch die Dunkelheit. Ekel und Panik schütteltne sie. Erst als die Tante sich umdrehte, danke sagte und zurückblieb, merkte Susanna, dass der Gaukler ihnen gefolgt war.
Sie wandte den Kopf und sah, wie die Tante ihm mit einem Tuch das Blut von der aufgeplatzten Oberlippe tupfte. »Ich stand zufällig oben im Turm am Kerkerfenster«,
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