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Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
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die untere Ringmauer desgewaltigen Bauwerks mit dem kühnen Namen heran. Ein Urahn des Kurfürsten hatte es vor mehr als hundertfünfzig Jahren errichten lassen und es »Trutzkaiser« genannt, weil er in einer Fehde mit dem Habsburger Kaiser lag. Seit die Spanier im vorletzten Sommer an der Bergstraße, ja sogar vor Heidelberg aufgetaucht waren, betrieben die Verteidiger der Residenzstadt mit aller Macht die Erneuerung dieser mächtigen, jedoch halb zerfallenen Wehranlage am Westhang des Gaisberges.
    David konnte sich nicht sattsehen an ihr. Wie eine Burg aus dem Morgenland sah sie aus: eine ringförmig ummauerte Terrasse, darauf der Ring einer zweiten, kleineren Terrasse und auf ihr wiederum vier hoch aufragende, rund um einen Mittelturm gebaute Ecktürme. Gut zwanzig Fuß darüber schwebte an einem Mast befestigt ein kugelartiges Gebilde: ein Signalkorb.
    »Turm zu Babylon« hatte ein alter Prediger vor kurzem das noch unvollendete Bollwerk genannt; David hatte es mit eigenen Ohren gehört, als es ihn auf der Suche nach dem schönen Mädchen Susanna auch in die Heilig-Geist-Kirche getrieben hatte.
    Kanonen jeder Größe sollten von den Terrassen des Trutzkaisers aus nicht nur die Hänge des Gaisberges und des Königsstuhls sichern, sondern auch die weit verzweigte westliche Wehranlage vor dem Speyrer Tor. Der dem Bollwerk vorgelagerte keilartige Mauerwall im Westen und die Laufmauer hinunter zum Friedhof und zum Blauen Turm der Westmauer waren noch nicht fertig. Auch vom geplanten Laufgraben davor stand vorläufig nur die Brustwehr. Mit den Grabungsarbeiten konnte erst begonnen werden, wenn im Frühjahr der gefrorene Boden wieder aufgetaut war.
    Ein zweites, kleineres Bollwerk dagegen, den sogenannten »Trutzbayer«, hatte man schon im vergangenen Jahr fertiggestellt und mit Kanonen bestückt. Die sollten dem größeren Trutzkaiser Deckung geben, wenn erst der erwartete Sturm von Tillys Kriegsvölkern losbrach.
    »Gut gemacht, ihr Pferdchen!« David zog die Zügel straff.»Brr!« Das Gespann stand still, und der junge Gaukler kletterte nach hinten auf den Steinhaufen. Zwei Maurer aus Handschuhsheim stiegen zu ihm auf die Ladefläche, und gemeinsam begannen sie, die Steinbrocken vom Wagen hinunterzureichen. Die anderen schleppten sie zu den Flaschenzügen, wo auch die Arbeitsplätze der Steinmetze lagen. Rübelrap schleppte am meisten.
    Mächtig abgemagert war er. Doch hier, unter den Arbeitern und in ihren ärmlichen Baracken, ging es ihm allemal besser als im einsamen Brückenturm über dem zugefrorenen Neckar. Wie David und Stephan gab man auch ihm warme Kleidung und Schuhwerk und ausreichend zu essen.
    Weil David nicht gerade kräftig gebaut war, hatte man ihn bald vom Schleppen und Maurern entbunden und auf den Kutschbock gesetzt. Stephan hatte man als zu alt für die harte Arbeit an der Wehranlage befunden und zu den Pferdeknechten in den kurfürstlichen Marstall geschickt.
    Um die Mittagszeit versammelten sich die kurfürstlichen Soldaten mit den Arbeitern um kleine Feuerstellen innerhalb der Türme. Es gab Getreidegrütze mit Schmalz, eingesalzenen Bohnen und ein wenig Speck. Dazu wurde mit Wasser verdünntes Bier ausgeschenkt. Die Männer ließen es sich schmecken, plauderten, tranken und packten nach dem Essen ihre Würfel und Karten aus, um eine Runde zu spielen, bevor die Arbeit weiterging.
    David spielte nicht mit, sondern wickelte seine Geige aus dem Hundefell, mit dem er sie vor der Kälte zu schützen pflegte. Er stimmte ein altes Lied an, das die Maurer ihm beigebracht hatten, und bald erfüllte der Klang rauer Männerstimmen das düstere Gemäuer.
    Die Feldwebel Franz Hackers waren beide Engländer und gehörten zu denjenigen Soldaten des König Jakobs, die eine ganz neumodische Sitte in die Stadt am Neckar gebracht hatten: das Rauchen. Einer der Engländer zündete nach dem Essen eine Tabakspfeife an, und der zweite wollte dasselbe tun. Während derFeldwebel jedoch seine Kleider abklopfte, verfinsterte sein bärtiges Gesicht sich zusehends. »Meine Pipe!«, rief er, als David die Geige absetzte und die letzten Takte des Gesanges verklangen. »Somebody has stolen sie!« Er sprang auf und blickte wütend um sich.
    Sofort kehrte Ruhe ein. Doch nicht lange – eine tiefe Stimme mit unverkennbar eidgenössischem Akzent ertönte plötzlich: »Der Fähnrich hat sie geklaut!«
    Aller Augen flogen zu Rübelrap, doch der bewegte nicht einmal die Lippen, guckte nur treuherzig über seinen Becherrand ins

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