Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
explodierte und Tilly, der geharnischte Mönch, endlich wieder einen Sieg auf dem Schlachtfeld verbuchen konnte.
Mitte Juni dann präsentierte der Baron von Mosbach dem Gouverneur von Heidelberg einen Brief aus Zweibrücken. Ein diebisches Subjekt wie Rübelrap sei unerträglich in den Mauern Heidelbergs, schrieb der Pfalzgraf, zumal in Zeiten wie diesen, und man möge ihn vor ein Feldgericht stellen und, so die Vorwürfe gegen ihn bewiesen seien, alsbald hinrichten.
Franz Hacker unterrichtete Stephan und David über diese Entwicklung. Er gab sich keine Mühe zu verbergen, wie gern er es tat.
Um diese Zeit begegnete David wieder der jungen Frau, die er so glühend begehrte.
*
»Neuenheim brennt«, sagte Anna. Alle drängten sich neben sie ans Giebelfenster, alle guckten sie über den Neckar, und keiner glaubte es.
»Es ist nur das Abendrot«, sagte Susanna. »Ja, schau doch: Der Himmel leuchtet im Abendrot.«
»Neuenheim brennt«, wiederholte Anna. Sie stand eingezwängt zwischen Susanna und Martin. Ihre Stimme klang, als würde hinter einer hölzernen Maske eine Schwindsüchtige zu sprechen versuchen.
Alle stürzten sie aus dem Haus – Susanna, Anna, Martin, die anderen Cousins und Cousinen, der Onkel, die Tante, die Gesellen –, alle liefen sie in den Hof und auf die Neckarwiesen hinaus. Dutzende Heidelberger hatten sich dort bereits zwischen den Gestellen mit den frisch gefärbten Tüchern versammelt und starrten über den Neckar hinweg nach Westen. Viele hundert Schritte flussabwärts stieg Rauch über den abendlichen Weingärten und Obstwiesen des Heiligenbergs auf, und die lodernde Glut unter den Rauchschwaden leuchtete viel greller als das Abendrot darüber.
Kein Zweifel: Neuenheim brannte.
Sie standen und starrten und hielten einander fest. Susanna spürte, wie Anna in ihrem Arm zu zittern begann und wie sie selbst in den gekrümmten Zeigefinger ihrer Faust biss.
Martin sprach dann aus, was sowieso alle dachten: »Wenn Neuenheim brennt, wie mag es da erst Handschuhsheim gehen?«
Anna brach in lautes Schluchzen aus, die Tante fing an zu beten, und Susanna versuchte, gegen eine Angst anzuamten, die ihr die Brust zerquetschen wollte: die Angst um den Vater, die Angst um die Großeltern, Tante und Mutter, die Angst um das liebe Haus, den Garten und ihren Sticktisch vor dem Fenster zur Straße.
Bald stand das halbe Viertel im hohen Ufergras, palaverte, weinte, versuchte zu fassen, was unten in Neuenheim am anderen Neckarufer geschah. Viele Menschen drängte es zur Brücke. Vielleicht wussten ja die Soldaten dort, was geschehen war; vielleicht traf man dort Flüchtlinge aus Neuenheim und den Weilern am Heiligenberg, die man fragen konnte; vielleicht begegnete man sogar jemandem aus Handschuhsheim.
Susanna und ihre Verwandten ließen sich mit der Menge flussaufwärts zur Brücke treiben. Beinahe dunkel war es, als sie sich mit Hunderten vor dem Brückentor am Doppelturm drängten. Die Soldaten zeigten sich abweisend und wortkarg, Flüchtlinge entdeckte niemand.
Als die Menge sich einmal einen Atemzug lang lichtete, sah Susanna einen schmalen Burschen in roter Jacke und mit zerdrücktem, gefiedertem Hut auf dem dunklen Lockenschopf. War das nicht der aufdringliche Gaukler, der schon seit Wochen versuchte, ihr den Hof zu machen? Sie schob sich ein Stück hinter die Tante und spähte zu ihm hinüber – tatsächlich, er war es! Mit einer Zwergin, die wie er zu der Truppe des kroatischen Zahnbrechers gehörte, wartete er vor dem Aufgang zum linken Brückenturm. Die Zwergin weinte, der Gaukler hatte Bündel von Decken und Fellen unter die Arme geklemmt. Dann winkte ein englischer Waffenknecht sie durch die Tür in den Turm hinein. Der Gaukler verschwand im Turm, ohne sich umzudrehen, ohne Susanna zu sehen. Gut so.
Bald eine Stunde warteten Susanna und ihre Familie in der Menschenmenge vor dem Brückentor. Noch immer tauchten keine Flüchtlinge von der anderen Neckarseite auf, und die englischen Soldaten redeten gar nichts, die kurpfälzischen wenig.
Gerüchte machten die Runde: Der Gouverneur habe die Brücke sperren lassen, niemand komme noch über den Neckar in die Stadt hinein. Der Papistengeneral Tilly habe Neuenheim in Schutt und Asche legen lassen, um Kanonen zwischen die Ruinen zu schaffen und den Pfälzern jede Deckung darin unmöglich zu machen. Auch hinauf zu den Schanzen auf dem Heiligenberg habe der geharnischte Mönch Geschütze schaffen lassen, und der Beschuss der Residenzstadt stehe
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