Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
hörte sie ihn sagen. »Ein Freund von mir liegt dort unschuldig in Ketten. Er soll bald um einen Kopf gekürzt werden. Ich habe ihm seine …« Jetzt erst merkte er, dass Susanna zuhörte, und räusperte sich. »… seine Frau und ein paar Decken für die Nacht gebracht, damit sie sich verabschieden können.« Er tat einen Schritt auf sie zu. »Und dann habe ich dich unten vor dem Brückentor gesehen, Susanna. Und die Kerle. Ich dachte, dieses eine Mal noch könnte es sich lohnen, sich hinter der Maske eines Gauklers zu verstecken …« Er grinste.
Susanna wandte sich ab, stützte sich auf Anna und ließ sich von der jüngeren Schwester zu dem Portal ziehen, das durch die Mauer in den Hof des Onkels führte. Schon in diesem frechen Brief hatte er sie Susanna genannt. Woher nur kannte er ihren Namen?
Weil sie hörte, wie der Gaukler und die Tante miteinander sprachen, blieb sie unter dem Torbogen noch einmal stehen und sah zurück.
»Du solltest dich bei diesem mutigen Mann bedanken, Susanna, hörst du?«, sagte die Tante streng und ging an ihr vorbei in den Hof.
»Danke«, sagte Susanna knapp und sah dem Gaukler ins Gesicht.
»Ich heiße David.« Er lächelte.
»Dacht ich’s mir.« Der freche Bursche natürlich, der ihr die rührseligen Verse und den zudringlichen Brief geschrieben hatte.»Merk dir eins, Gaukler: Ich bin niemandes Liebchen. Doch damit du dir keine falschen Hoffnungen machst: Vor dir steht eine verlobte Frau, sogar eine, die so gut wie verheiratet ist.« Sprach’s, wandte sich ab und huschte in den Hof.
Anna machte ziemlich große Augen, versuchte den Gaukler mit einem Blick zu trösten und zuckte mit den Schultern. Dann verriegelte sie das Portal und sperrte ihn aus.
Am nächsten Morgen hieß es, ein Tross des Kurfürsten sei mitten in der Nacht durch die Hauptstraße zur Hofkanzlei und hinauf zum Schloss gefahren. Friedrich persönlich habe wichtige Unterlagen und Wertgegenstände zusammengepackt und aus Heidelberg geschafft. Diese Nachricht verbreitete einen Schrecken, der tagelang wie Gewitterschwüle auf der Stadt lastete.
Anfang Juli dann ging es wie ein Feuersturm durch die Gassen: Die Papisten seien bei Wieblingen über den Neckar gegangen, und ihr General, der geharnischte Mönch, habe sein Hauptquartier in Handschuhsheim errichtet, in der Tiefburg.
Zehn Soldaten kamen ins Haus des Onkels und quartierten sich im Untergeschoss ein. Drei Kurpfälzer, vier Schotten und drei Engländer. Die Tante fürchtete sich am meisten vor ihnen. Einer der Schotten, ein Feldwebel, brachte seine beiden Huren, einen Knecht und drei Kinder mit und zwang den Onkel, seine Werkstatt und sein Stofflager für ihn und seine Familie zu räumen. Susanna musste sich eine kleine Kammer im Obergeschoss mit den Cousinen und Cousins teilen. Am nächsten Tag befahlen die Soldaten dem Onkel, seine Gestelle und sein Tuch von der Neckarwiese zu holen. Danach mauerten sie die Pforte zu, durch die man vom Hof hinaus auf die Uferwiese und an den Neckar gelangte.
Den Nachbarn erging es noch schlimmer: Ihnen führten Soldaten Schwein, Kuh und Federvieh weg, bauten eine Rampe und schoben eine schwere Kanone auf das Dach des steinernen Schweinestalls und vor die Stadtmauer. Danach soffen sie sämtliche Weinvorräte aus, und das in einer einzigen Nacht.
Flüchtlinge aus Handschuhsheim schwammen und ruderten vom Ostufer des Neckars zur Herrenmühle herüber und brachten Nachrichten aus dem Dorf. Der älteste Sohn des Schuhmachers Arnold war unter ihnen. Meister Almut sei tot, versicherte er, ein Kosak habe ihn erschlagen, vielleicht auch ein Krabat. Das Haus sei verwüstet und die Mutter schwer erkrankt, so übel habe man ihr zugesetzt. Wie es den Großeltern und der Tante ergangen war, wusste er nicht.
Von nun an schlich Susanna früh morgens nicht mehr hinauf zur Schlossstraße, um nach Hannes Ausschau zu halten. Tagelang hockte sie in der Kammer und hielt ihre weinende Schwester Anna in den Armen, die an den Vater dachte, immer nur an ihn.
Sie selbst konnte lange nicht weinen. Das Innere ihrer Brust fühlte sich wie Stein an. Meistens saß eine der Tanten bei ihnen, und meistens betete sie. Oft stimmte sie Kirchenlieder an – am häufigsten O Welt, ich muss dich lassen und Ein feste Burg ist unser Gott.
Manchmal kam die jüngere der beiden Soldatenhuren in die Kammer herauf, eine junge aschblonde Frau aus Böhmen. Die setzte sich dann einfach auf den Boden neben die Tür, weinte leise vor sich hin oder sang die
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