Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
trugen rote Bänder um Sturmhaube und Hut, genau wie ihr Rittmeister und ihr Obrist. Tilly hatte sie als Feldzeichen für den Sturm auf die Stadt ausgeben lassen. »Der Trompeter!«, rief der Cornet zu seinem Obristen und seinem Rittmeister herauf. »Nachricht aus dem Hauptquartier.« Unten in der Stadt läutete es drei Uhr. Wind kam auf.
»Van der Merven wird abgelehnt haben.« Maximilian von Herzenburg wischte sich den Schweiß aus Schnurrbart und Brauen. »Würden sonst die Geschütze wieder sprechen?«
Wie zur Bestätigung lärmte erneut Kanonendonner: Diesmal stiegen die Pulverwolken zwischen Neckar und der Westflanke des Heiligenbergs auf. Dort, in den Ruinen eines Dorfes namens Neuenheim, standen etliche ganze und halbe Kartaunen. Ihre Geschosse – Eisenkugeln von vierundzwanzig und achtundvierzig Pfund – heulten über den Neckar. Einige landeten wie so oft im Fluss oder vor der Nordmauer auf der Neckarwiese, andere schlugen unten in der Stadt in Gärten, Dächern, Höfen und auf Straßen ein. Und kaum verhallte der Donner, feuerten die Geschütze erneut.
Zwei ganze und vier halbe Kartaunen standen in den Bergschanzen dort oben. Mit siebzig Pferden hatten Tillys stolze Artilleristen zwei Tage lang geschuftet, bis sie die eisernen Ungetüme von Handschuhsheim aus auf den Heiligenberg geschleppt hatten. Die Mühe hatte sich noch nicht ausgezahlt.
Turm und Dach der Heilig-Geist-Kirche, die Brücke und ein paar Dächer – viel mehr sah man nicht von Heidelberg hier oben ihm Waldhang. Die wenigen Straßen- und Gassenabschnitte, die man hätte einsehen können, hatten die Belagerten mit Tüchern verhangen, um die Manöver ihrer Soldaten und Bürgerwehrden feindlichen Blicken zu entziehen. Hin und wieder stiegen Rauchsäulen und Staubwolken hinter den Baumwipfeln auf. So wie jetzt. Der Rittmeister hörte das Prasseln und Poltern von Gestein – irgendein Gemäuer war dort unten zusammengebrochen. Eine starke Windböe wehte Kommandorufe und das Geschrei verletzter Menschen zu ihnen herauf. Der nächste Kanonendonner übertönte es schnell.
»Prächtig!« Von Bernstadt ballte die Faust um sein feuchtes Schweißtuch. »So muss es sein. So gefällt du mir, Heidelberg! Das muss deinen Starrsinn doch irgendwann brechen.«
Von Herzenburg hegte da seine Zweifel. Hunderte Kanonenkugeln hatten schon in die belagerte Stadt eingeschlagen, dutzende Sturmläufe der bayrischen Truppen waren bereits gegen ihre Mauern gebrandet, und jeden Tag gruben die Belagerer ihre Laufgräben ein Stück weiter an die Wehranlagen der Stadt heran – in Heidelberg jedoch dachten sie gar nicht daran zu kapitulieren.
Vor einer Woche erst hatte General Tilly seine Soldaten vom Gipfel des Königsstuhls aus zum Sturmangriff auf das Schloss geführt. Vergeblich. Und heute waren wieder katholische Landsknechte stundenlang gegen den Trutzkaiser angerannt. Erneut vergeblich. Sollte der Gouverneur der Stadt auch das jüngste Verhandlungsangebot Tillys ablehnen, würden noch an diesem Nachmittag von Herzenburgs Männer gemeinsam mit fünf Infanteriekompanien versuchen, die über dem Trutzkaiser gelegene Wehranlage mit ihren Geschützen und Musketieren zu stürmen. »Trutzbayer« hatten die Belagerten sie getauft. Eine übermütige, ja geradezu freche Namensgebung, wie alle Offiziere fanden, mit denen von Herzenburg darüber gesprochen hatte.
Der Rittmeister schnupperte noch einmal an seinem Schnupftuch – dem ehemaligen Besitzer hatte von Torgau die Kehle durchgeschnitten – und steckte es zurück in die Rocktasche, wo Papier knisterte. Ein Brief des Herrn Grafen. Von Herzenburg spähte zum mittlerweile nachtschwarzen Westhorizont. Dort zogSchlimmeres als nur ein Gewitter auf. Wie eine düstere Wand lag nun eine geschlossene Wolkendecke über dem Rheintal und tauchte es bereits zur Hälfte in Finsternis. Nicht mehr lange, und sie würde auf das ganz Land fallen. Erste Windböen rauschten bereits durch die Baumkronen.
Unten am Hang tauchten jetzt Reiter auf – der Trompeter und seine Eskorte. »Her zu mir mit Ihm!« Von Bernstadt fuchtelte mit den Armen. Puterrot war sein Krötengesicht. »Ich will die Antwort des Gouverneurs hören.« Wie jedes Mal, wenn er sich bewegte, wehte der Gestank von Wein, Harn und altem Schweiß zu von Herzenburg herüber. Schaudernd wandte er sich ab. Ekel würgte ihn, er atmete durch den Mund und mühte sich, das Lächeln auf seinen Zügen aufrechtzuerhalten.
Bereits zum dritten Mal hatte Tilly die Führung der
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