Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)
Residenzstadt zur Übergabe aufgefordert. Die Stadt war umzingelt, der Weg zur Festung Mannheim abgeschnitten, wo Sir Horace Vere mit dem kurpfälzischen Generalstab und frischen Truppen lag, und die Festung Dilsburg im Osten Heidelbergs ebenfalls eingeschlossen. Woher also sollte denn Entsatz kommen? Doch der Rittmeister hatte es sich abgewöhnt, auf den gesunden Menschenverstand eines Feldherrn zu setzen, der mit dem Rücken zur Wand steht.
»Einen Dukaten darauf, dass van der Merven nicht kapituliert hat«, prophezeite er. Im Grunde hoffte er das sogar: Nur bei gewaltsamer Einnahme der reichen Residenzstadt konnte man von General Tilly eine Erlaubnis zu ihrer Plünderung erhoffen.
Der Obrist winkte ab, fuhr sich mit dem feuchten Spitzenfetzen durchs Gesicht und stelzte dem Trompeter entgegen. Der kam direkt aus Wieblingen, wohin Tilly erst vor einer Woche sein Hauptquartier verlegt hatte, um der belagerten Stadt möglichst nahe zu sein und den Weg nach Mannheim zu kontrollieren.
Der Heidelberger Gouverneur habe Tilly an seinen General in Mannheim verwiesen, erklärte der Trompeter. Van der Merven seinicht befugt, eine Kapitulation zu beschließen, und müsse selbst erst Rücksprache mit Sir Horace Vere halten. Dann reichte der Reiter dem Obristen zwei schriftliche Befehle des Generals Tilly. Einer lautete so, wie der erneute Geschützlärm vom Heiligenberg und aus Neuenheim es erwarten ließ: Sturmangriff auf den Trutzbayer.
Prinz von Bernstadt schickte den Tross des Trompeters weiter zu den anderen Obristen in den Wäldern des Gaisbergs und gab seine Kommandos. Mit sechs Kompanien gegen den Trutzbayer ging es jetzt. Halb vier läutete die Glocke der Heilig-Geist-Kirche am Fuß des Hanges. Von Herzenburg befahl seinem Feldwebel und von Torgau, die Männer gegen das kleine Bollwerk zu führen. Er selbst blieb beim Stab des Obristen und beobachtete, wie die Sonne endgültig hinter schwarzen Wolken verschwand.
»Der zweite Befehl Tillys schickt mich zum Bischof von Speyer«, berichtete der Obrist. »Ich soll ihn um Soldaten, Bauern und Pferde bitten, damit wir schnellstmöglich auch Geschütze auf den Gaisberg und zum Königsstuhl hinaufschleppen können.«
»Dann werden wir ihre hübsche Stadt endlich von zwei Seiten beschießen.« Die Aussicht stimmte den Rittmeister zufrieden. »Das ertragen sie nicht lange, die trotzigen Heidelberger.«
»Sie verteidigen sich tapfer, diese Starrköpfe da unten«, sagte von Bernstadt. »Wahrhaftig, das muss man ihnen lassen.«
»Sie wissen, was ihnen blüht, wenn sie darin nachlassen«, sagte der Rittmeister. Erste Regentropfen klatschten in die Baumkronen und auf seinen Hut.
»Was blüht ihnen denn schon, wenn sie kapitulieren?« Der Prinz von Bernstadt steckte endlich sein nasses Schweißtuch ein. »Eine lächerliche Tracht Prügel im Vergleich zu dem, was sie erwartet, wenn sie weiterhin störrisch bleiben. ›Muss erst Rücksprache halten‹ …« Der Obrist schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen. »Tilly wird toben!« Er stieß ein meckerndes Lachen aus. »Ein Witz, wenn van der Merven vorschiebt, erst Mannheimum Erlaubnis zur Kapitulation fragen zu müssen. Ein Witz, sag ich!«
»Ein teurer Witz«, entgegnete der Rittmeister kühl. »In ganz Heidelberg gibt es nicht genügend Fässer, um das Blut zu fassen, das er kosten könnte.«
»Möge der allmächtige Gott dem Holländer Vernunft einhauchen.«
»Manch einem, so heißt es, verdüstert der Herrgott im Himmel eigenhändig Verstand und Willen, damit er in sein Unglück rennt und sich so selbst bestraft für seine Sünde.« Von Herzenburg erinnerte sich gut an den Schrecken, der ihm als Kind in die Glieder gefahren war, als der lutherische Prediger die Geschichte vom ägyptischen Pharao erzählte, dem angeblich Gott selbst das Herz verstockte, damit er nicht auf die Forderungen des Moses eingehen konnte. »Vielleicht erleben wir also im Starrsinn des Holländers schon die göttliche Strafe für seine Sünden.«
»Ein famoser Gedanke, Rittmeister, wahrhaftig!« Der Obrist lächelte anerkennend. »Ein protestantischer Gedanke, nicht wahr? Allerdings könnte van der Merven durch seinen Starrsinn die Strafe Gottes auf Tausende Unschuldige lenken. Kann denn das noch Gottes Wille sein?« Mit besorgtem Blick sah er in den dunklen Himmel. Im Westen erleuchteten Blitze den Horizont. Donner grollte.
»Wer ist schon unschuldig, Durchlaucht?«, entgegnete Maximilian leichthin. »Haben die Pfälzer nicht heute erst
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